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Sport-Erfolge wie zu DDR-Zeiten sind möglich: Mangelnde Leistungsbereitschaft in Deutschland? Das ist Populismus!
Die Olympischen Spiele in Paris haben mich und viele Menschen beeindruckt. Die spektakuläre Eröffnungsfeier mit dem illuminierten Eiffelturm, die meist bis auf den letzten Zuschauerplatz gefüllten Stadien, die sportlichen Höchstleistungen der Athleten aus aller Welt, die spürbare Begeisterung in der gesamten Stadt und weit über deren Grenzen hinaus – das alles wird mir und uns noch lange Zeit in Erinnerung bleiben und hat die Vorfreude auf die Paralympics, die in dieser Woche begonnen haben, bei mir sogar noch einmal verstärkt.
Das olympische Medienecho hierzulande wird seitdem von zwei Themen dominiert: Eine mögliche deutsche Bewerbung um die Austragung der Spiele im Jahr 2036 oder 2040 sowie das – gemessen am Medaillenspiegel – enttäuschende Ergebnis der deutschen Delegation in Paris.
Was spricht für Olympia in Deutschland, ist unser Land überhaupt bereit dafür? Sind wir sportlich im internationalen Vergleich nicht mehr konkurrenzfähig und wenn ja, was sind die Gründe dafür? Ich habe dazu eine klare Meinung und das eine steht für mich in direkter Verbindung mit dem anderen.
Es ist ein Fakt: Die 33 deutschen Olympia-Medaillen von Paris bedeuten die schwächste Bilanz seit der Wiedervereinigung und sind die konsequente Fortsetzung eines Abwärtstrends der letzten Jahrzehnte. Immer wieder ist nun die Rede davon, dass dies auf die mangelnde Leistungsbereitschaft der jungen Menschen in unserem Land zurückzuführen sei. Ich halte diese These für falsch und populistisch.
Ja, es ist richtig, dass jüngere Generationen in einer Gesellschaft des Wohlstands aufgewachsen sind. Und ja, sicherlich haben sich Arbeitswelten verändert. Auch die Politik hat bei der Frage, was „muss“ und was „kann“ zur sozialen Unterstützung der Bevölkerung geleistet werden, oftmals großzügig entschieden.
Kinder brauchen Anreize, um ihr Potenzial zu entfalten
Das alles bedeutet aber nicht, dass bei den 45 Millionen Menschen, die hierzulande täglich zur Arbeit gehen und uns zu einer der erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt machen, das Leistungsprinzip und die Einsatzbereitschaft verloren gegangen sind. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Kinder und Jugendlichen nicht fauler oder bequemer als die in anderen Ländern sind. Vielmehr brauchen sie entsprechende Rahmenbedingungen und Anreize, um ihr Potenzial entfalten zu können.
Ich sehe die Ursachen für den olympischen Abwärtstrend also vielmehr in unserem Sportsystem und dessen Förderpolitik. Eine detaillierte Analyse inklusive eines komplexen Maßnahmenkatalogs würde den Rahmen dieses Textes sprengen, deshalb nur einige Schlagworte zu diesem Thema: Erfolgreicher Spitzensport muss zentral und von Experten gesteuert werden. Also von Fachleuten, die über Expertise und Erfahrung im Leistungssport und in der Talententwicklung verfügen.
Strukturen, Steuerung und Entscheidungsfindung müssen entbürokratisiert werden. Eine moderne Sportstätteninfrastruktur ist dabei Grundvoraussetzung. Die Leistungen der Athleten und vor allem die Arbeit der Trainer müssen – auch abseits des Fußballs – gesellschaftlich wertgeschätzt und angemessen honoriert werden.
Ein Blick auf die Qualität des Sportunterrichts, die maroden Sportanlagen und die geringe Anerkennung für ehrenamtliches Engagement bereiten mir große Sorgen.
Kaweh Niroomand
Rückblickend werden die Medaillensammlungen des DDR-Sports meist auf ein damit verbundenes, staatlich organisiertes Dopingsystem reduziert – in meinen Augen und insbesondere mit Blick auf die genannten Forderungen eine verkürzte Sichtweise. Gar nicht hoch genug zu bewerten ist in diesem Kontext die Bedeutung des Breitensports für unsere Gesellschaft, aber auch als Grundlage für spätere Olympiasieger.
Ein Blick auf die Qualität des Sportunterrichts, die zahlreichen maroden Sportanlagen und die geringe Anerkennung für ehrenamtliches Engagement bereiten mir dabei große Sorgen.
Die Olympiabewerbung als Katalysator
Es gibt aber auch Beispiele, die mich zuversichtlich stimmen und zeigen, was möglich ist. Als BR Volleys haben wir im Jahr 2016 ein stadtweites Nachwuchskonzept ins Leben gerufen, uns mit allen Berliner Volleyballvereinen im männlichen Bereich verbündet und ein zentral organisiertes Talentfördersystem installiert. Seitdem hat sich die Anzahl der Kinder und Jugendlichen im Berliner Verband verdoppelt und die der Nachwuchsteams sogar verdreifacht. Bei den Deutschen Meisterschaften stand in diesem Jahr in allen Altersklassen eine Berliner Mannschaft im Endspiel.
Wenn wir den Rahmen schaffen, Strukturen optimieren und Talente gezielt unterstützen, lässt sich die vielgeschmähte „Jugend von heute“ also durchaus zu Höchstleistungen motivieren. Bei all dem könnte eine deutsche Olympiabewerbung als ein wichtiger „Katalysator“ wirken.
Auf dem Weg zu den Olympischen und Paralympischen Spielen in Berlin würde die städtische Infrastruktur verbessert.
Kaweh Niroomand
Die Skepsis der Gegner einer solchen Bewerbung und ihre Gründe wie das angeschlagene Image des IOC, der Gigantismus der letzten Jahrzehnte oder die finanziellen Investitionen ohne Garantie auf den Zuschlag kann ich nachvollziehen. Für mich überwiegen jedoch die Gegenargumente. Die olympischen Tage von Paris haben uns – trotz aller kritischen Stimmen, die es auch dort zuvor gab – gezeigt, welche positive Kraft ein solches Gemeinschaftserlebnis für ein Land, die Gastgeberstadt und deren Menschen entwickeln kann.
Ich bin überzeugt: Olympia in Deutschland würde gesellschaftliche, wirtschaftliche und sportliche Impulse bringen, die wir dringend brauchen!
Berlin könnte eine großartige Botschaft senden
Ich finde es daher gut und richtig, dass sich die Landesregierung in Berlin schnell, klar und entschlossen hinter die gemeinsame Erklärung von Bundesregierung und DOSB gestellt hat, deren Zielsetzung die Olympischen und Paralympischen Spiele 2036 oder 2040 in Deutschland sind.
Es mag nicht überraschen, dass ich unsere Hauptstadt dabei für den geeignetsten aller Austragungsorte halte. Ja, natürlich bin ich hier auch „Lokalpatriot“, vor allem aber gibt es viele objektive Gründe dafür: Die bereits vorhandenen Sportstätten, die touristische Infrastruktur für Millionen Gäste aus aller Welt, die Erfahrungen mit Großveranstaltungen wie zuletzt den Special Olympics Weltspielen oder der Europameisterschaft im Fußball. Ganz zu schweigen von der einzigartigen, multikulturellen und begeisterungsfähigen Mentalität unserer Metropole.
Unser heutiges Berlin als Stadt der Freiheit und der Vielfalt, in der jeder seinem ganz persönlichen Lebensentwurf nachgehen kann, könnte auf diese Weise eine großartige Botschaft in die Welt senden.
Auf dem Weg zu den Olympischen und Paralympischen Spielen in Berlin würde die städtische Infrastruktur verbessert, die Sportstätten saniert, die Digitalisierung vorangebracht und zahlreiche neue und moderne Arbeitsplätze geschaffen werden. Das alles würde unserer Stadt von nachhaltigem Nutzen sein.
Zurück zum Anfang, zu den Eindrücken aus Paris: Wenn ich mir die Freude der Menschen, die sich in den glücklichen Gesichtern der Einwohner, Besucher, Teilnehmer, Volunteers und sogar der Ordnungs- und Sicherheitskräfte spiegelte, in den Straßen Berlins vorstelle, ist das in meinen Augen ein lohnendes Ziel am Horizont. Darauf sollten wir gemeinsam hinarbeiten, denn es würde uns in diesen von Krisen und Herausforderungen geprägten Zeiten helfen und guttun.