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MMA: Rekord in Frankfurt – Jetzt machen zwei Tschechen den Sport in Deutschland salonfähig – WELT
In Frankfurt findet zum ersten Mal ein MMA-Kampfabend in einem Bundesligastadion statt. Die Kulisse von 59.000 Zuschauern bedeutet Rekord, viele Deutsche gewinnen ihre Kämpfe. Der einst verrufene Sport ist hierzulande nun doch auf dem Weg in den Mainstream.
Um 20.16 Uhr rollt „Stifler“ auf einem E-Scooter ins Scheinwerferlicht. Samstagabend, Frankfurter Bundesligastadion, ausverkauftes Haus. Im Mittelkreis, da, wo sonst Fußballspiele angepfiffen werden, steht heute ein runder Maschendrahtkäfig. Der ist das Ziel von „Stifler“, Kampfname eines jungen Mannes, der eigentlich Max Holzer heißt und dem der Name des frivolen High-School-Machos aus der „American Pie“-Reihe wegen seines derben Humors als Spitzname verliehen wurde. Aus der Lautsprecheranlage dröhnt zu seinem Einmarsch das Lied „Verknallt in einen Talahon“, die Halle bebt ob des frechen Auftritts.
Holzer ist Mixed-Martial-Arts-Kämpfer, vorn im Käfig wartet sein Gegner, und drumherum jubeln ihm 59.000 Menschen zu. Der Abend ist nicht nur für den bislang ungeschlagenen 22-Jährigen die Chance seines Lebens. Sondern auch für seinen Sport in Deutschland.
Denn zum ersten Mal findet hier ein Mixed-Martial-Arts-Event in Deutschland in einem Stadion statt. Organisiert hat es die tschechische Liga Oktagon, es ist ihre 62. Veranstaltung. Mixed Martial Arts (MMA) ist gewissermaßen der Zehnkampf des Kampfsports – Disziplinen von Boxen über Judo bis Ringen, unter einem Regelwerk vereint. International bekannt wurde der Sport durch die 1993 in den USA gegründete „Ultimate Fighting Championship“ (UFC), bis heute unangefochtene Marktführerin des Sports. Die Kämpfe sind ein Milliardengeschäft und haben in den vergangenen 20 Jahren rund um die Welt große Fan-Gemeinden entstehen lassen – allerdings lange nicht in Deutschland.
Weltrekord, ausgerechnet in Deutschland – welche Ironie
Hier galt der Sport als verrufen: zu brutal. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass der Sport nicht gefährlicher ist als etwa das Boxen, dass er mehr körperliches Schach ist als tumbe Barschlägerei, dass er gefährdeten Jugendlichen Halt im Leben geben kann. Heute lassen sich Promis bei den Kampfabenden ablichten, in Frankfurt etwa trägt vor dem Hauptkampf Fußball-Weltmeister Lukas Podolski den Titelgürtel in den Käfig.
Bereits 2009 versuchte die UFC erstmals, in Deutschland Fuß zu fassen. Das starke Land zwischen Rhein und Oder mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern galt als potenziell lukrativer Markt – der sich allerdings als überaus störrisch erwies. Die Deutschen taten sich schwer mit diesem neuen Sport, Medien schrieben ihn nieder, oft ohne inhaltliche Substanz. Auch die Marktführerin UFC schaffte es nicht, Hallen zu füllen.
Beim ersten Event 2009 war die Kölner Lanxess Arena rund zur Hälfte gefüllt, bei späteren Events in Oberhausen, Berlin und Hamburg sah es meist ähnlich aus, von den gelösten Tickets wurden oft viele gratis verteilt. Amerikanische Kämpfer saßen mit 100 Freikarten in ihren Hotels und fragten im fremden Land, ob jemand jemanden kenne, der sie vielleicht geschenkt haben wolle.
Das muss man wissen, um einordnen zu können, wie sehr es ein Zeichen für veränderte Zeiten war, als Oktagon im November 2023 in die Kölner Lanxess Arena kam – und sie ausverkaufte. Rund 20.000 Tickets dann – und ganze 59.000 jetzt. Noch vor wenigen Jahren undenkbar. Damit überflügelt Oktagon in Sachen Zuschauerzahl sogar die größten Events der UFC in Kanada oder Australien um einige Tausend Fans. Ausgerechnet in Deutschland. Welche Ironie.
Ein zweiter Punkt, der noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre: In der Mitte des Käfigs prangt auf dem Boden das RTL-Logo. Mit diesem Event steigt – offenbar als eine Art Probelauf – erstmals auch der Kölner Sender in die Szene ein und zeigt die Veranstaltung auf seiner Streamingplattform „RTL+“. Auch hier Kontext zur Bedeutung: MMA-Kämpfe zu senden, war in Deutschland jahrelang ein Spießrutenlauf.
Sport1, damals noch als DSF, versuchte es um 2010 herum, strahlte Kämpfe der UFC aus, und geriet prompt ins Visier der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Der Münchner Sender musste die UFC-Kämpfe aus dem Programm nehmen, danach fristeten sie mal ein Nischendasein auf der Streaming-Plattform der Liga, mal bei der Videoplattform Maxdome.
Dass ein renommierter Sender wie RTL sich jetzt an diesem Sport probiert, ist eine wichtige Benchmark auf dem Weg in den Mainstream. Die Kölner sehen offenbar Potenzial bei einer bedeutenden Zielgruppe: junge Männer.
Manche Kämpfer werden von römischen Legionären zum Käfig begleitet
Das zeigt sich auch in Frankfurt: Draußen vor dem Stadion parkt ein Kampfhubschrauber der Bundeswehr, daneben kann man sich vor Soldaten in voller Kampfmontur bei Fitness-Challenges beweisen. Drinnen wird in den Kampfpausen Werbung für eine Haartransplantationsklinik und Ridley Scotts bald anlaufenden Historienschinken Gladiator II gemacht. Manche Kämpfer werden von als römische Legionäre verkleideten Darstellern zum Käfig begleitet. Hier, so offenbar die Botschaft, kann man noch einfach Mann sein.
Und die angepeilte Zielgruppe wird offenbar erreicht. Die für gute Plätze locker mehrere hundert Euro teuren Karten sind allesamt verkauft worden.
Ebenfalls ungewöhnlich: dass es nicht die UFC ist, die diesen Erfolg landet. Sondern Oktagon, eine als Schnapsidee zweier Tschechen erst 2016 gegründete Liga. Pavol Neruda und Ondrej Novotny hängten ihre Jobs an den Nagel, nahmen Schulden und viel persönliches Risiko auf – und hatten Erfolg. Inzwischen ist Oktagon eine der angesehensten Adressen im europäischen MMA. Und seit diesem Wochenende Weltrekordhalterin.
Ob Mixed Martial Arts mit dem Großevent in Deutschland in eine neue Ära eintritt, hängt letztlich aber – das legen Entwicklungen in anderen Ländern nahe – vor allem davon ab, dass deutsche Kämpfer erfolgreich kämpfen: dass sich Zugpferde auftun, die den Sport mit Schlagkraft und Charisma nach oben ziehen. Bislang hat das niemand auf die Art geschafft, wie es etwa einem Conor McGregor in Irland gelungen ist.
Aber auch an dieser Front sieht es derzeit aus deutscher Sicht so gut aus wie selten. Wenige Tage vor der Veranstaltung in Frankfurt schafft in Las Vegas Islam Dulatov, Düsseldorfer und früheres Versace-Model, den Sprung in die UFC. In Frankfurt dann gewinnen unter anderem die Deutschen Max Coga, Kerim Engizek und Niko Samsonidse ihre Kämpfe. Und Max Holzer alias Stifler – er dominiert seinen Gegner und schlägt ihn in der zweiten Runde technisch K.o. Das Stadion bebt, wohl auch, weil die Leute wissen: Noch ein paar Leistungen wie diese vor Kulissen wie der ihren, und in Deutschland hat sich ein neuer Sport im Mainstream etabliert.