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“In Deutschland gibt’s ein massives Überangebot an Sport in frei empfangbaren Medien” – Marco Klewenhagen fühlt dem Sport den Puls. | turi2
Sanierungsfall Sport? Dem deutschen Sport geht’s nicht gut, weder im Profi- noch im Breitensport stimmen derzeit die Strukturen, findet Marco Klewenhagen, Geschäftsführer und Inhaber von Spobis, der wichtigsten Plattform in Deutschland fürs Sport-Business. Spobis hat 40 Mitarbeiter und veranstaltet u.a. den wichtigsten Branchenkongress. Mit Peter Turi spricht Klewenhagen zum Auftakt der Themenwoche Sport über die Herausforderungen für Sport, Medien und Marketing.
Wie geht’s dem Sport in Deutschland?
Nicht gut. Die nachweislich positive Kraft und Wirkung von Sport auf eine Gesellschaft wurde von der deutschen Politik mindestens 10 bis 15 Jahre missachtet und bestenfalls rudimentär verwaltet. Mit dem Ergebnis, dass es von Schul- über Breiten- bis Spitzensport einen riesigen Investitionsbedarf gibt. Der Sanierungsbedarf allein des Status Quo von bestehenden Sportstätten in Deutschland beträgt mindestens 30 bis 40 Milliarden Euro! Das ist dramatisch, alarmierend und gesellschaftspolitisch völlig unverständlich.
Was bedeutet das für den Spitzensport?
Gemessen an der Einwohnerzahl Deutschlands und den uns zur Verfügung stehenden Mitteln müssten wir in der Lage sein, über die gesamte Breite des Spitzensports deutlich mehr Athleten und Teams hervorzubringen, die in internationalen Wettkämpfen bessere Ergebnisse erreichen. Andere Nationen erzielen, relativ gesehen, mehr und größere Erfolge, beispielsweise die skandinavischen Länder, die Niederlande oder Kroatien. Diese Länder sind erfolgreich durch spezialisierte Förderung und Fokussierung auf bestimmte Sportarten sowie Bereitstellung von Fachpersonal im sportlichen und wirtschaftlichen Bereich, von der Breite bis in die Spitze. Ich halte diesen Ansatz für elementar. Um Elite zu fördern – und darum geht es im Spitzensport – braucht es für einige wenige von klein auf optimale professionelle Bedingungen, sowohl infrastrukturell als auch personell. Deutschlands Gemisch aus föderalem Verbands- und Vereinswesen und Politik ist ein machtpolitisches, bürokratisches Ungetüm, das dem Anspruch zur Elitenausbildung und -förderung nur unzureichend gerecht wird. In Bezug auf internationalen Spitzensport ist das deutsche Sportsystem über seine gesamte Breite gesehen stark reformbedürftig.
Und das Sportbusiness?
Sportbusiness meint ja die Umsetzung, Verbreitung und Vermarktung von Profisport und damit einhergehenden Sportereignissen. Da hilft es, wenn deutsche Spitzensportler und -teams auf Weltniveau agieren, weil es die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich dafür ein größeres Publikum interessiert – und ein Massenpublikum ist Voraussetzung für erfolgreiches Sportbusiness. Ideal ist ein spannender Wettbewerb, in dem die besten Athleten der Welt sich in einer Sportart messen, die bei einem großen Publikum beliebt ist, wie wir es beispielsweise aus der Premier League oder der NBA kennen. Dann haben Sie aus Sicht des Sportbusiness ein Produkt, das weltweit auf höchstem Niveau funktioniert und beliebt ist.
Viele Sportler und Sportarten sind international erfolgreich. Trotzdem kommen sie in den Medien nur selten vor und werden kaum vermarktet.
Unter dem Strich schaffen es nur wenige Sportler und Sportarten, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Nehmen Sie unser diesjähriges olympisches Team: Der DOSB wird mehr als 400 deutsche Sportler und Sportlerinnen für Paris nominieren. Ich schätze, der breiteren Öffentlichkeit sind 80 bis 90 Prozent der Athleten nicht bekannt. Das ist kein Vorwurf. Über den Grad von Bekanntheit und Beliebtheit entscheidet am Ende der Zuschauer vor dem Endgerät; wie bei allen Unterhaltungsangeboten, ob nun Musik, Film oder Sport.
Und da ist Fußball in Deutschland unschlagbar?
Ja. Gemessen an seiner Bedeutung im Sportbusiness dürfte Fußball in Deutschland über 80 Prozent des Marktumsatzes ausmachen. Allein der FC Bayern München macht circa 850 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Tendenz Richtung 1 Milliarde. Das ist mehr als doppelt so viel wie der Umsatz aller anderen Profi-Clubs in allen anderen Mannschaftssportarten zusammen.
Uff.
Obwohl die Bundesliga über Jahre keinen spannenden Wettbewerb in der Meisterschaft bot und vergleichsweise nur wenige internationale Spitzenfußballer in der Liga spielen, begeistert sie ein Millionenpublikum. Das geht sogar runter bis in die 2. und 3. Liga, wo per Definition kein absoluter Spitzensport geboten wird. Stellen Sie sich nur vor, wir hätten in der Bundesliga auch noch die Spannung und das sportliche Niveau der englischen Premier League. Die Stadien könnten anbauen und Medien könnten mit ihren Lizenzrechten an der Liga vielleicht sogar Geld verdienen.
Bisher schaffen sie das nicht, oder?
Nach meinem Wissen konnte kein Medienunternehmen in den letzten 10 bis 20 Jahren mit der Live-Übertragung der Fußballbundesliga nachhaltig operative Gewinne oder einen positiven direkten Deckungsbeitrag erwirtschaften. Einerseits. Andererseits könnten Pay-TV-Anbieter wie Sky oder Dazn ihre Unternehmungen auf dem deutschen Markt ohne Fußball gar nicht aufrechterhalten. Bei Free-TV-Anbietern mit einem umfangreicheren Programmangebot wie RTL oder ProSiebenSAT.1 lässt sich zudem beobachten, dass Sport, insbesondere Live-Sport, immer mal wieder aus den Programmangeboten genommen wird. Meistens aber kommen die Anbieter zu der Strategie zurück, Sport ins Programm aufzunehmen. Sei es nun, um ihre durchschnittlichen Einschaltquoten oder Streaming-Angebote zu pushen, ein relevantes Marketing-Thema für ihre Kommunikation zu haben oder um die werbetreibende Industrie an sich zu binden. Sport, insbesondere Fußball, kann für sich zurecht reklamieren, dass es kaum andere Medieninhalte gibt, die so starke Mehrwerte für Medienanbieter mitbringen.
Fällt es dem Fußball nicht irgendwann auf die Füße, wenn die Medienunternehmen damit kein Geld verdienen können?
Die Frage ist berechtigt. Aber es liegt nicht in der Verantwortung der Fußballbundesliga zu bestimmen, was ihre Lizenzrechte für Sender wert sind. Das müssen Medienanbieter für sich selbst bestimmen. Und das tun sie ja auch regelmäßig, wenn sie bei den Medienrechteausschreibungen der DFL ihre Angebote abgeben. Dennoch bin ich der Meinung, dass es wünschenswerter wäre, wenn die Rechnung für beide Seiten aufgeht – für Bundesliga und Medienunternehmen. Insbesondere für die Pay-TV-Anbieter, deren Investitionen über 80 Prozent am Gesamtumsatz der Bundesliga-Medieneinnahmen ausmachen. Es kann zumindest nicht im Sinne der Bundesliga sein, dass ihre wichtigsten Partner dauerhaft keine funktionierenden Geschäftsmodelle haben.
Was müsste sich ändern, damit Pay-TV-Anbieter mit der Bundesliga Geld verdienen?
Das Angebot müsste sich in der Breite verkleinern und auf deutlich weniger Medienanbieter konzentrieren. In Deutschland gibt es derzeit ein massives Überangebot an Sport in frei empfangbaren Medien und es gibt zu viele Abo-Modelle, auf die sich der Sport verteilt. Dadurch erreichen die allermeisten Sportangebote nur noch sehr kleine Zielgruppen und Käuferschaften, was für alle Beteiligten – Sender, Sportarten und Werbeindustrie – kaum noch messbare Nutzwerte bringt.
Ist es für den Sport nicht gut, wenn er so breitflächig dargestellt wird?
Was haben Sportarten davon, wenn sie zwar gesendet, aber kaum wahrgenommen werden? Ich bleibe dabei: Eine Marktkonsolidierung wäre für Medien und Sport wünschenswert und sie dürfte auch unausweichlich sein. Nehmen Sie das Beispiel USA: Obwohl der Markt riesig ist, konzentriert er sich im Wesentlichen auf nur vier größere Sportarten. Und zusätzlich wird das Angebot bewusst noch einmal verknappt und nicht das ganze Jahr durchgesendet. Denn die großen Sportligen gehen sich mit ihren jeweiligen Saisons unterjährig bestmöglich aus dem Weg und finden kaum parallel statt. So kann jede Liga für ein paar Monate im Jahr den ganzen Markt auf sich konzentrieren, was allen Beteiligten zugutekommt. Die NFL beispielsweise ist die umsatzstärkste Sport-Liga der Welt, obwohl ihre Saison nur von September bis Februar läuft. Nahezu jedes Spiel ist somit ein Highlight. In Deutschland hingegen wird Sport jeglicher Art auf zig Sender verteilt, ganzjährig 24/7 versendet. Es wird alles gezeigt. Sie können sich im deutschen TV sogar die schottische oder saudi-arabische Fußball-Liga anschauen. Offensichtlich etwas für Feinschmecker. Die Sender und der Sport tun sich und dem Publikum damit keinen Gefallen.
Der ehemalige DFL-Geschäftsführer Christian Seifert unternimmt mit Dyn den Versuch, Sportarten wie Handball, Basketball oder Tischtennis wieder präsenter zu machen. Ist das gelungen?
Dyn versucht den eben besprochenen Ansatz bestmöglich umzusetzen, indem der Sender über die Breite einer Sportart hinweg alle relevanten Ligen und Wettbewerbe auf einer Plattform gebündelt abbildet. Neben moderner Produktion und Distribution von Live-Spielen liefert Dyn außerdem diverse Formate für Social Media und hat zudem mit der Axel Springer AG den wahrscheinlich stärksten Gesellschafter und Medienpartner, den man sich für ein solches Projekt wünschen kann. Und die Aufmerksamkeit für zuvor genannte Sportarten wurde insgesamt auch schon deutlich gesteigert.
Aber?
(überlegt lange). Hinter Dyn stehen hoch erfahrene Medien-Manager und starke Gesellschafter. Die Umsetzung ist konzeptionell und technisch richtig, um die Chance zu haben, ein solches Modell profitabel zu gestalten. Aber ein Jahr nach dem Start des Senders sollen die Abo-Zahlen bei erst rund 20 Prozent von dem stehen, was es braucht, um operativen Gewinn zu erwirtschaften. Doch es ist noch viel zu früh, um zu einer Beurteilung zu kommen, ob sich das Modell trägt. Es zeigt sich aber auch an diesem Beispiel, wie schwer es aus zuvor genannten Gründen ist, in Deutschland mit Sportmedien-Inhalten wirtschaftlich erfolgreich zu sein.
Wo wächst die Branche denn noch?
Hier würde ich unterscheiden in nationales und internationales Sportbusiness. In Deutschland dürfte der Markt derzeit stagnieren. Obwohl Sportveranstaltungen gut besucht werden, ist die Vermarktung von Sponsoring außerhalb von Top-Sportprodukten und Hospitality, insbesondere Logen, schwerer geworden. Der Grund dafür liegt vor allem in der derzeit schwierigen deutschen Wirtschaftslage. Ein anderer großer Treiber der Branche ist die Vermarktung von Sportmedien-Rechten, vor allem die der Fußballbundesliga, die damit derzeit über 1 Mrd. Euro pro Saison umsetzt. Hier ist die Herausforderung, dass die klassischen Geschäftsmodelle von Medienunternehmen immer schlechter funktionieren und sich in einer Umbruchphase befinden. Daher ist es derzeit generell schwer, mit Sportmedienrechten bestehende Umsätze in dem Bereich zu steigern; gleichwohl es auch immer wieder Ausnahmen gibt. Nettobotschaft: Die Stimmung im deutschen Sportbusiness ist derzeit getrübt.
Und international läuft es besser?
Der internationale Sportbusiness-Markt ist sehr agil, entwicklungsstark, kapitalintensiv und investitionsfreudig. Es gibt global agierende, milliardenschwere Kapitalfonds, die in Sport aller möglicher Art investieren. Es fällt auf, dass im Ausland Profisport als eine Industrie, ein Unterhaltungsprodukt verstanden wird. Es gibt außerhalb Deutschlands nur wenig Vorbehalte gegenüber Investoren, Kapital, Wachstum oder Innovationen. Diese Aspekte sind wie auch in anderen Industrien Teile eines global ausgerichteten Geschäfts. Entsprechend sind sportpolitische Infrastruktur, Verständnis, Denke und Umgang mit dem Thema deutlich anders als bei uns, weswegen der internationale Markt eben deutlich wachstumsstärker ist.
Warum tun sich in Deutschland so viele Menschen schwer mit einer Kommerzialisierung?
Ich bezweifle stark, dass es sich dabei um viele Menschen handelt. Die große Mehrheit dürfte dem Thema weitgehend emotionslos gegenüberstehen; die allermeisten wollen mit und durch Sport einfach nur eine kurzweilige Zeit genießen, ob nun im Stadion oder vor dem Fernseher. Es gibt aber in Deutschland, allen voran im Fußball, eine faktisch sehr kleine, stark ideologisch getriebene Gruppe, die eine andere Sichtweise auf dieses Thema hat. Das ist auch in Ordnung. Selbstverständlich darf jeder bei diesen Themen zu anderen Beurteilungen kommen. Gar nicht in Ordnung ist die grundsätzlich aufgeheizte, meist sogar hoch aggressive Stimmung, die von diesem Milieu ausgeht und jegliche Art von Diskurs unterdrücken will.
Sie sind für eine konsequente Kommerzialisierung im Profi-Sport wie wir ihn aus England und den Ölstaaten kennen?
Ich halte es grundsätzlich für realitätsnäher und weniger scheinheilig. Fakt ist, Profisport wie in der Fußballbundesliga funktioniert und unterliegt einer globalen Industrie und die anderen Märkte werden auf deutsche Individual-Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen. Dabei greift auch nicht das Argument, dass das Geld im Sport alles kaputt machen würde. Im Ausland wie den USA oder England ist deutlich mehr Geld im Umlauf als in Deutschland. Deswegen zeigen sich nicht weniger Menschen für deren Sport begeistert. Im Gegenteil, die großen US-Sport-Ligen, die Premier League oder die UEFA sind bekanntermaßen alles milliardenschwere Größen im Weltsport. Für Gegner sind das die bösen Kapitalisten und die Totengräber des reinen Sports. Tatsache ist, dass deren Ligen und Events die meisten Zuschauer an sich binden und zu den beliebtesten der Welt gehören. Nachweislich machen die also nicht so viel kaputt.
Was stört Sie an der Kritik?
Was mich bei dem Thema wirklich stört, ist diese Doppelzüngigkeit: Selbst Teil, ja sogar Treiber, einer riesigen Milliarden-Industrie sein und gleichzeitig ständig betonen, wie schlimm man das alles findet. Das ist verlogen. Oder gab es schon Fan-Gruppierungen oder ein Vereinspräsidium, das die Millioneneinnahmen, die Clubs mit der UEFA Champions League einnehmen, abgelehnt hätte? Im Gegenteil: Dann wird die Vereinshymne erst richtig laut geschmettert und das neue Sondertrikot gekauft.
Ist Sportsponsoring noch ein Wachstumsfeld?
Ja, sehr sogar, zumindest bei relevanten Assets gehen die Umsätze seit Jahren anhaltend und steil nach oben. Beispiel Fußball-Europameisterschaft: Allein in diesem Wettbewerb konnte die UEFA ihre Sponsoringeinnahmen in den letzten 20 Jahren um knapp 900 Prozent steigern. Auch andere international relevante Spitzen-Clubs, Ligen, Wettbewerbe oder Sportler werden von der werbetreibenden Industrie sehr stark genutzt. Alle eint eine stetig zunehmende, sehr große und regelmäßige Sichtbarkeit und Wahrnehmung. Sponsoring hat ja viele Facetten, aber allein die Anzahl an kommunikativen Kontaktpunkten, die Werbepartner über diese Anbieter erreichen, sind riesig.
Sind Sportstars die künftigen Social-Media-Stars?
Nicht automatisch. Von allein wird niemand ein Social-Media-Star. Natürlich hilft eine große Bekanntheit, um den eigenen Social-Media-Kanal groß zu machen. Es gibt bekanntermaßen ja viele Persönlichkeiten, nicht nur im Sport, die binnen weniger Tage viele Tausende von Followern generieren. Es ist aber zu respektieren, dass Aufbau und Pflege eines eigenen Social-Media-Kanals viel Zeit und Arbeit bedeuten. Nicht umsonst werden viele Persönlichkeiten von Dritten unterstützt. Übrigens, die größten Influencer im deutschen Sport kommen derzeit zu 90 Prozent aus dem Fitnessbereich.
Noch drei schnelle Fragen zum Abschluss: Wo steht das Sport-Business in 20 Jahren?
Es hat bereits ein großer Verdrängungswettbewerb zwischen international agierenden Sportarten, Verbänden und Ligen begonnen, mit dem Ziel, global möglichst viele Märkte für sich zu gewinnen, oft begleitet durch dritte Kapitalgeber. Die Sieger aus diesem Konkurrenzkampf werden mit ihren Sportarten und Wettbewerben mehr denn je global stattfinden und konsumiert werden, stark getrieben durch technologischen Fortschritt.
Welche Sportart wird der Aufsteiger 2024/2025?
Auf kleinerem Niveau, wahrscheinlich eine der Sportarten, die gerade durch private Investoren aufgebaut und betrieben werden, wie beispielsweise Padel.
Letzte Frage: Wer wird Fußball-Europameister?
Nicht dass es mein Wunsch wäre, aber in meiner privaten Tipprunde steht England auf dem Zettel. Ich brauche die Sonderpunkte.
Fotos: Spobis