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Eine Sport-Doku, wie es sie in Deutschland noch nicht gegeben hat
Moritz und Franz Wagner
Eine Sport-Doku, wie es sie in Deutschland noch nicht gegeben hat
Sie spielen weltmeisterlich Basketball und sind zudem kluge Interpreten ihrer selbst: Das ZDF zeigt eine herausragende Dokumentation über die Brüder Moritz und Franz Wagner.
In einem Moment der Erschöpfung sagt Moritz Wagner: “Tiere wären die besten Athleten.” Keine Zweifel, keine lähmenden Gedanken, Pläne für die Zukunft sowieso nicht, solch einen aufgeräumten Kopf wie ein Tier hätte Wagner auch gern, wenn er den Ball auf den Korb wirft in den der nordamerikanischen Profiliga NBA.
Hat er aber nicht. Genauso wenig wie sein jüngerer Bruder Franz, der wie Moritz für die Orlando Magic spielt. Moritz lebt schon seit neun Jahren in den USA, Franz seit fünf, aber beide stehen noch immer staunend vor ihrer Karriere, die sie von Berlin-Prenzlauer Berg über Ann Arbour, Michigan, bis nach Florida zu den Magic geführt hat.
Die Regisseure Thomas Pletzinger und Timon Modersohn durften die Wagner-Brüder ein Stück ihres Weges begleiten. Die Kamera lief mit, wenn Moritz, 27, und Franz, 23, in den zurückliegenden Monaten über die Entertainment-Maschine NBA sprachen, die sie mitunter so durcheinanderwirbelt, dass ihnen das Gefühl für Zeit und Raum verloren geht. “Wenn du nicht weißt, wo du morgens aufwachst, nützt dir auch ein Ritz Carlton nichts”, sagt Moritz, der Wortführer in der Dokumentation, die ab diesem Montag in der ZDF-Mediathek abrufbar ist.
Franz Wagner besitzt das Zeug, einer der ganz Großen des Basketballs zu werden
Die Serie trägt den englischen Titel “The Wagner Brothers”, gerade so, als würde der Vierteiler den Weltmarkt adressieren. Noch aber ist die Geschichte der Wagners ein eher deutscher Stoff. Moritz Wagner gilt als solider NBA-Profi, Franz hingegen hat das Zeug, einer der ganz Großen seines Sports zu werden. So sehen es jedenfalls die Orlando Magic, die Franz einen Fünf-Jahres-Vertrag gegeben haben, der ihm mindestens 224 Millionen Dollar einbringt – und im besten Fall sogar 269 Millionen. Das ist mehr als Dirk Nowitzki in seinen 21 Jahren bei den Dallas Mavericks insgesamt verdient hat.
Es geht auch um Geld in dieser Dokumentation, die – und das macht sie so besonders – keine Tabuthemen kennt. Man kann Moritz Wagner dabei zuhören, wie er mit seinem Agenten Jason Glushon telefoniert und Angebote sortiert. Sechs oder sieben Millionen Dollar pro Saison sind Moritz zu wenig, er hält die Summe für einen Witz, für eine Missachtung all dessen, was er in der NBA geleistet zu haben glaubt. Moritz meckert, er flucht, er zetert und sackt am Ende ermattet in sich zusammen.
Keine Zensur, volles Vertrauen in die Filmemacher
Eine Szene wie diese wäre wohl aus vielen anderen Sportdokumentationen entfernt worden. “Nicht freigegeben”, wie es in solchen Fällen heißt, weil der Protagonist sich in ein wenig vorteilhaftes Licht gerückt fühlt. Bei der Serie “The Wagner-Brothers” jedoch galt: Keine Zensur und volles Vertrauen der Hauptdarsteller in die Filmemacher.
Dieses Vertrauen hat sich Timon Modersohn über Jahre erarbeitet. Er lernte die Wagners beim Aufzugfahren kennen, er wohnte im selben Haus im Prenzlauer Berg wie die beiden Brüder. Später stieß Thomas Pletzinger zum Projekt. Er ist Schriftsteller und Sachbuchautor mit Spezialgebiet Basketball. Für sein Buch “Gentleman, wir leben am Abgrund” (2011) begleitete er die Mannschaft von Alba Berlin eine Saison als eine Art teilnehmender Beobachter. 2019 veröffentlichte er “The Great Nowitzki”, eine Biografie des damals gerade zurückgetretenen Dirk Nowitzki. Die gewaltige Ambition verriet sich schon im Titel, eine Anspielung auf Fitzgeralds “The Great Gatsby”. Wer das Buch las, lernte einen nahezu gottgleichen Nowitzki kennen, Pletzinger pumpte ihn überlebensgroß auf.
Ähnliches stand nun zu befürchten bei “The Wagner Brothers” (hier offenbar eine Anspielung auf “Die Brüder Karamasow” von Dostojewski oder auf die “Blues Brothers” – oder beides, wer weiß das schon). Pletzinger aber hat sich dieses Mal zurückgenommen. Er und Modersohn lassen die Wagner-Brüder selbst ihre Geschichte erzählen. Eine Panik wie noch beim Nowitzki-Buch, unbedingt eine zweite Ebene finden zu müssen, die das Werk “larger than life” macht, ist nicht mehr zu spüren.
Die Wagners, eine wortmächtige Familie
Die Familie Wagner macht es den Autoren allerdings auch leicht. Nicht nur Moritz und Franz sind begabte Interpreten ihrer selbst. Auch die Eltern, Vater Axel Schulz, von Beruf Psychotherapeut, und die Mutter Beate Wagner, eine Medizinjournalistin, sind Menschen des Wortes. Ein Glücksfall für Pletzinger und Modersohn, die aus diesem starken Material eine Sport-Dokuserie gebaut haben, wie es sie in Deutschland noch nicht gegeben hat. So nah, so klug, so bildgewaltig – da kann allenfalls die Amazon-Doku über Jan Ullrich mithalten.
Und doch hat auch diese Serie ihre Schwächen. Die ersten beiden der vier Folgen handeln hauptsächlich vom Gewinn der Weltmeisterschaft 2023. Klar, Franz Wagner war neben Dennis Schröder der Anführer dieser Mannschaft, und der Titel ist der funkelndste, den je eine deutsche Basketball-Nationalmannschaft gewonnen hat. Aber die WM so in den Vordergrund zu rücken, führt zu einer Schieflage. Das Besondere, das Unerhörte bei den Wagner-Brüdern ist nämlich ihr gemeinsamer Weg durch Amerika. In den USA gilt ein WM-Titel wenig, da zählt nur der Meisterring der NBA.
Pletzinger und Modersohn haben sich von den starken Bildern verführen lassen, die sie während der WM in Japan und den Philippinen einfingen. Und wann immer ihnen eine Szene gefiel, gaben sie ihr in der Dokumentation ein Gewicht, als sei das ein Ölgemälde mit röhrendem Hirsch.
Die Bilder in “The Wagner Brothers” werden aber auch so eine ganze Weile für sich stehen. Neue, starke Szenen des Duos kommen in den nächsten Wochen nicht dazu. Franz Wagner hat sich eine Bauchmuskelverletzung zugezogen und fällt länger aus. Viel Zeit, um mal wieder über das eigene Leben nachzudenken.
“The Wagner Brothers” ist ab sofort in der ZDF-Mediathek verfügbar. Im linearen TV ist die Dokumentation am 14. Dezember (0:25 Uhr) und am 15. Dezember (23.45 Uhr) zu sehen, jeweils im ZDF.