Infra
Carolabrücken-Einsturz: Hohe Sozialausgaben verhindern Erhalt von Infrastruktur | MDR.DE
MDR AKTUELL: Herr Professor Lenk, wie stellt sich für Sie die Situation um die Carolabrücke in Dresden dar?
Prof. Dr. Thomas Lenk: Es hat sich vor Jahrzehnten schon angedeutet, dass solche Dinge passieren können. Ehrlicherweise haben wir damit gerechnet, dass das eher in NRW der Fall sein wird. Dass diese Brücken, die seit der Nachkriegszeit gebaut wurden, irgendwann einstürzen oder zumindest richtig saniert werden müssen, war völlig klar. Und dass man das langfristig in die öffentlichen Haushalte mit einplanen müsste, lag offen auf dem Tisch. Das Problem ist nur, dass Investitionsausgaben oder Erhaltungsaufgaben, die nicht unbedingt zu den obersten Pflichtaufgaben gehören, in den kommunalen Entscheidungen immer ein bisschen nach hinten rutschen. Und dann kriegt man halt so einen Einsturz als Quittung, wenn da was nicht vernünftig im Zeitablauf eingeplant wurde.
Ist die Situation in NRW noch prekärer?
Also wir haben deutschlandweit eine prekäre Situation. Ob das Brücken oder Straßen betrifft. Die sind zu einer Zeit gebaut worden, da sind die Leute eher kleinere Autos gefahren, keine SUVs. Die Laster waren viel leichter als heute. In Dresden kommt noch die Straßenbahn hinzu. Das sind Belastungen, bei denen man damals, als man die Brücken geplant hat, gar nicht davon ausgegangen ist, dass die mal auftreten werden. Jetzt sind die [Brücken] da und sie kommen in die Jahre, sei es korrosionsbedingt, sei es durch Mikrorisse oder sonst etwas. […] Also, es ist überhaupt nicht überraschend, sondern es ist völlig klar, dass wir hier was tun müssen. Und zwar nicht nur kurzfristig, sondern langfristig bei der gesamten öffentlichen Infrastruktur.
Wie schwer tun sich Kommunen, Investitionen anzuschieben?
Man muss sich klar machen, dass weit über die Hälfte der öffentlichen Infrastruktur von Kommunen erhalten werden muss. Man müsste die Kommunen auch dazu ertüchtigen, dieser Aufgabe nachzukommen. Wenn eine Kommune einen Haushalt aufstellt, dann ist sie zunächst verpflichtet, alle Pflichtaufgaben wahrzunehmen. Die sind insbesondere im Sozialbereich. Und bekanntlich sind in den letzten Jahren gerade die Anforderungen im Sozialbereich – wir sprechen sogar von Soziallasten – sehr kräftig angestiegen. Und am hinteren Ende stehen dann Investitionen und Sachausgaben. Und dann wird es natürlich fraglich, wenn immer mehr Geld für Pflichtaufgaben gebraucht wird, wie viel von den Investitionen gemacht werden. Oder ob man die dann doch noch mal ein Jahr schiebt und vielleicht dann nochmal schiebt. Und dann nimmt das Schlechte seinen Lauf.
Was haben wir in Deutschland für ein Problem auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite?
Eigentlich haben wir ein dreifaches Problem. Wir haben nicht nur ein Problem auf der Einnahmen- und der Ausgabenseite, sondern auch mit unserer Schuldenbremse. Auf der Ausgabenseite ist die allererste Frage: ‘Was soll der Staat tun und was soll privat gemacht werden?’ […] Und wenn ich weiß, welche Aufgaben der Staat hat, muss ich abschätzen, wie groß sind die Ausgaben. Und dann kommt als letzter Schritt die Frage: ‘Kann ich die Einnahmen dazu entsprechend organisieren?’ Und wenn jetzt die Einnahmen in der Höhe nicht mit der Ausgabenhöhe übereinstimmen, dann kommt die Frage: Können wir uns verschulden und inwieweit können wir das zukünftigen Generationen überhaupt zumuten?