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Bunter US-Wahlkampf: Sollten auch deutsche Politiker mehr Entertainment wagen?

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Bunter US-Wahlkampf: Sollten auch deutsche Politiker mehr Entertainment wagen?

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

ich sitze gerade viel vor dem Fernseher, und zwar aus beruflichen Gründen. Das ist in meinem Job erst einmal nichts Ungewöhnliches. Reden von Politikern, Podiumsdiskussionen, Talkshows, Debatten in Parlamenten: All das muss ich mir natürlich ständig anschauen, um für Sie darüber zu berichten.

Ich will hier gar nicht groß drum herumreden. Auch wenn ich meinen Beruf sehr gerne mache, können solche Veranstaltungen ziemlich öde sein. Die Reden gleichen sich, es werden die immer gleichen Worthülsen von den immer gleichen Menschen in unsere Tastaturen diktiert.

Doch in den letzten Tagen und Wochen ist das anders. Wenn ich beruflich vor dem Fernseher sitze, habe ich tatsächlich Spaß. Denn die Bilder des Nominierungsparteitags der US-Demokraten, und zuvor auch die der Republikaner, sind etwas völlig anderes als das, was ich aus der hiesigen Parteienlandschaft kenne. Die Reden reißen das Publikum im Saal mit, dem nicht nur von Politikern, sondern auch von anderen Prominenten und lauter Musik eingeheizt wird. Alles ist größer, bunter, aufregender und vor allem unterhaltsamer.

Die Parteitage der Demokraten und Republikaner wollen eine große Show sein. Aus der Sicht des politischen Beobachters könnte man bei so viel Pomp fast schon etwas neidisch sein. Eine solche riesige Inszenierung wäre aber in Deutschland Fehl am Platz. Denn so leicht lassen sich die deutsche und die US-Politik nicht miteinander vergleichen. Das bedeutet aber nicht, dass sich die deutschen Parteien nicht das ein oder andere von dort abschauen könnten.

Die Bandbreite dessen, was auf dem Parteitag der US-Demokraten in Chicago geboten wird, ist schon außergewöhnlich. Doug Emhoff, der Ehemann von Kamala Harris, sprach etwa vor den tausenden Besuchern darüber, wie er 2013 etwas unbeholfen seine spätere Frau um ihr erstes Date gebeten hatte. Der Rapper Lil Jon brüllte der Menge seine größten Hits entgegen, die es ohnehin nur selten auf den Sitzen hält.

Vom Podium meldet sich auch Basketballcoach Steve Kerr. Der feierte einst als Spieler mit Michael Jordan in Chicago große Triumphe und holte gerade mit den USA als Trainer in Paris die Goldmedaille. Ach ja, auch noch als Redner dabei: Präsident Joe Biden und seine Vorgänger Barack Obama und Bill Clinton samt der Ehefrauen Jill, Michelle und Hillary.

All diese Auftritte machen Spaß, sind mitreißend und bringen einen nicht selten zum Lachen. Das trifft übrigens genauso auf die Republikaner zu, wenn sich etwa die Wrestlinglegende Hulk Hogan das Shirt vom Leib reißt, der Musiker Kid Rock die Menge einpeitscht oder Donald Trump seine Rede hält, während hinter ihm auf den Bildschirmen ein überdimensioniertes Weißes Haus zu sehen ist.

Über die politischen Inhalte im US-Wahlkampf ist dadurch natürlich noch nichts gesagt. Im Vergleich wirken deutsche Wahlkampfveranstaltungen und Parteitage trotzdem entsetzlich trist. Tatsächlich glaubt Bundeskanzler Olaf Scholz wohl bis heute, sein blasses Auftreten sei eine große Stärke. “Ich bewerbe mich schließlich als Kanzler und nicht als Zirkusdirektor”, sagte er etwa vor einigen Jahren über sein nüchternes Auftreten.

Bei seiner Vorgängerin Angela Merkel war das kaum anders. Dass deren Ehepartner Joachim Sauer und Britta Ernst die beiden in Reden ankündigen oder vor Tausenden darüber sprechen, wie sie sich einst kennenlernten? Nahezu unvorstellbar. Lobreden auf die Nachfolger? Vom letzten SPD-Kanzler Gerhard Schröder will nahezu die gesamte Partei inklusive Scholz nichts mehr wissen. Und Angela Merkel will umgekehrt nichts mehr von ihrer CDU wissen, schon gar nicht vom aktuellen Parteichef Friedrich Merz.

Bei der musikalischen Untermalung wird es dann noch komplizierter. Ob SPD-Fan Roland Kaiser für die Sozialdemokraten so etwas wie der Lil Jon für die US-Demokraten sein kann, dürfen Sie selbst entscheiden. Leslie Mandoki ist bei der CDU ein gern gesehener Gast und hat in der Vergangenheit schon Wahlkampfhymnen komponiert. Der alte Dschingis Khan-Klassiker “Moskau” wäre bei den Christdemokraten aber wohl gerade gänzlich unangebracht.

Sie merken es schon: Es ist schwierig, wahrscheinlich sogar unfair, die Gepflogenheiten im US-Wahlkampf einfach mit denen in Deutschland zu vergleichen. Die US-Politik wird eben vielmehr von starken Persönlichkeiten und deren Charisma getragen, als es hierzulande der Fall ist. Ohne Pathos, Superlative oder schmissige Slogans wie “Yes, we can” oder “Make America Great Again” lässt sich in den USA kaum eine Wahl gewinnen, während die Merkel-CDU schonmal mit so einprägsamen Parolen wie “Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben” (#FEDIDWGUGL) für sich warb.

Die US-Parteitage sind das Hochamt der Inszenierung. Hier wollen sich die Kandidaten nicht nur den Wählern von ihrer besten Seite zeigen. Sie sind auch der Startschuss in die heiße Wahlkampfphase, mit dem die unzähligen Freiwilligen im ganzen Land motiviert werden sollen, bis zum November alles für ihren Kandidaten zu geben.

Es gilt: Person vor Inhalt und Partei. In Deutschland ist es eher umgekehrt.

Die entscheidende Frage ist aber: Sollte es in Deutschland tatsächlich genauso wie in den USA sein? Der Dokumentarfilmer Stephan Lamby sagte mir in einem Interview im vergangenen Jahr, dass es eigentlich nur zwei Typen von Politikern gibt: Einen Typ nannte Lamby den “Bierzeltpolitiker”: “Der redet gerne, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.” Beispiele seien etwa Helmut Kohl, Gerhard Schröder oder Friedrich Merz.

Der andere Typ ist laut Lamby dagegen nervenstark, kontrolliert und wägt jedes Wort ab – so wie Angela Merkel und Olaf Scholz. Wer also die Ergebnisse der vergangenen Bundestagswahlen kennt, weiß, welcher Typus in Deutschland zuletzt der erfolgreichere war, lautet sein Fazit.

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