Ja, meint Adriano Sack
Das ging ja gut los: Es hatte die ganze Nacht durchgeregnet, eine After-Show-Party war für irgendwann im Juli angesetzt (was später korrigiert wurde), die Karl-Marx-Straße war für Autos gesperrt, natürlich funktionierte die Rolltreppe in dem ehemaligen Kaufhaus nicht, im dunklen Foyer war die Kunst-Kunst-Shopping-Installation noch nicht ganz fertig, dafür kosteten die zugegeben interessant geschnittenen, bunten Jeansjacken von Gerrit Jacob 590 Euro, was vermutlich doch die eine oder den anderen davon abhalten würde, sich hier mal eben ein Souvenir zu kaufen, vom ersten Tag einer Institution, die einen Ruf hat wie Donnerhall. Oder aber wie schwindsüchtiges Krächzen: die Berlin Fashion Week.
Tausendmal totgesagt ist die Berlin Fashion Week interessanterweise immer noch da. Und kein bisschen kleinlaut. Beim großen Eröffnungsdinner im „Grill Royal“ hielt Christiane Arp, ehemalige „Vogue“-Chefin und Gründerin des German Fashion Councils, eine ernst-optimistische Ansprache, Staatssekretär Michael Biel jonglierte mit Arbeitsplätzen und Umsatzmilliarden, die der Wirtschaftsfaktor Mode einbringen würde, der Impressario und Agenturchef Mumi Haiati (Reference Studios) glühte noch, denn er hatte in einem stillgelegten Neuköllner Kaufhaus ein unstrittiges Highlight der Berlin Fashion Week präsentiert.
Der New Yorker Designer Shayne Oliver zeigte sein Label Anonymous Club. Er hatte die beste Front Row seit vielen Jahren (Turner-Preisträger Wolfgang Tilmans, Neue Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach, Buchautorin Palina Rojinski, Berghain-Türsteher Sven Marquardt), ein schillerndes Casting (absolutes Highlight: „Asbest“-Hauptdarsteller Koder Alian) und so viele beknackte und brillante Ideen, dass es für drei Saisons gereicht hätte. Die Jogginghose künftig einfach bis zu den Schultern hochzuziehen klingt zum Beispiel nach einer wie für Berlin gemachten Modestrategie.
Aber Begeisterung beiseite. Der eigentliche Skandal scheint ja, dass es an dieser Stelle überhaupt ein Pro und Contra geben kann, ob die hiesige Fashion Week eine Chance und Zukunft hat. Das wäre in Mailand oder Paris (selbst in London) nicht denkbar. Wenn man aber drüber nachdenkt, ist diese Skepsis, dieses Infragestellen, dieses Kurz-was-aufbauen-und-dann-zerreden-wollen vielleicht das Markenzeichen von Berlin. Die Welt braucht keine weitere Modemetropole, wo Luxuskonglomerate ihre teuer eingekauften Prominenten ihren teuer eingeflogenen Meinungsmachern vorführen. Dieser Zirkus funktioniert bestens und hat seine Berechtigung.
Anzeige
Mit WELT günstiger Mode kaufen: ASOS-Gutschein
Die Daseinsberechtigung von Berlin aber ist seine Unberechenbarkeit. Dieser Mix aus schlimmstem Dilettantismus und Provinzialität – wenn etwa gleich drei Designer im Berliner Salon sich an dem Thema „entblößte Genitalien“ versuchen, wobei die Penisnieten bei Namilia so too much waren, dass man sie lieben musste. Und dem genauen Gegenteil: Könnerschaft, wie bei dem Kölner Designer Mario Keine, der eine eigensinnige, versponnene, modehistorisch versierte Kollektion zeigte. Frechheit, wie bei dem Design-Duo SF1OG, die einen UGG-Fellschuh mit alten Ladekabeln umwickelten, was wie eine ironische Verbeugung an ein Berlin direkt nach dem Mauerfall aussah, als jeder Schrotthaufen als Kunst durchging. Glamour, wie bei William Fan, der seine Kollektion auf dem Tartan der Trainingshalle des Olympiastadions zeigte, was ja so eine Art Eiffelturm von Berlin ist.
Was ich sagen will: Sobald die Berliner Fashion Week sich locker macht, von falschen Erwartungen löst und sich auf ihre eigenen potenziellen Stärken besinnt, gibt es gar kein Problem mehr. Denn es ist doch alles da: lebendige Subkulturen als Referenz und Inspiration (von den Four Blocks-Dealern bis zu Sexpositiv-Partypublikum), ein permanenter Strom von zuziehenden Talenten und begeisterungsbereitem Publikum, stillgelegte Kaufhäuser (werden ja in Zukunft eher noch mehr) und eine lange Tradition, sich aus Trümmern und Schutt wieder zu erheben. Wie der legendäre Phönix, den Pharrell Williams in seinem Superhit „Get Lucky“ besungen hat. Und auch wenn das vorerst der letzte derartige Vergleich sein wird: Der Mann hat es ja auch bis zu Louis Vuitton geschafft.
Nein, meint Maria-Antonia Gerstmeyer
In den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts konnte die Modestadt Berlin es durchaus mit Paris aufnehmen. Die Branche florierte vor allem dank der zahlreichen jüdischen Unternehmen. Die Nazis machten auch diese Kultur zunichte. Anschließend war Berlin hinter Modehauptstädten wie Mailand, Paris, New York und London weit abgeschlagen.
Doch dann entstand im „Arm aber sexy“-Zeitalter in Berlin eine Fashion Week und erlebte ein paar aufsehenerregende Jahre. Die Modemessen Premium und die vormals Kölner Streetwearmesse Bread & Butter waren 2003 in die Hauptstadt gekommen. Sogar die damals noch unbekannten Schweden Acne und Filippa K zog es für eine Show im Tunnel der U-Bahn-Linie 5. Die improvisierte Zeltatmosphäre hatte ihren eigenen Charme und trug sich noch vom transitorischen Erbe der Neunziger. Der Berlin-Stil fand auch international Anerkennung, die ehemalige Clubwear war der Streetwear aus den USA nicht unähnlich. Subversiv und cool, gleichzeitig noch multifunktional und tragbar. Aber sobald der Mainstream naht und sich mit Visionen Geld verdienen lässt, wird es in Berlin problematisch.
Seitdem wabert die Modemesse zwischen Kunst und Kommerz. Zwischen Schauenspektakeln, wiederauferstandenen Messeformaten und der verpassten Chance, den unkonventionellen Stil in internationalen Erfolg umzumünzen, verlor sie in den Zehnerjahren zunehmend an Relevanz. Wenn Labels großartig wurden und auf die cleane, puristische und qualitativ hochwertige Ästhetik von Größen wie Jil Sander aufbauen konnten, wie etwa Perret Schaad mussten sie am Geiz und oft auch Biederkeit der deutschen Kundschaft scheitern. Andersherum waren sich viele Labels für die im Zweifelsfall pragmatischen Modevorlieben der Deutschen zu selbstgefällig. Mit der Zeit schien schließlich auch die Ambition zu verpuffen, zu internationaler Größe zu gelangen, sich jemals in die Big Four, die Modemetropolen Paris, Mailand, New York und London einzureihen.
Seitdem befindet sich die Modewoche in einer Art Identitätskrise. 2021 hatte es noch Bemühungen gegeben, mit der Verlegung der Messen Premium und Neonyt nach Frankfurt, neue wirtschaftliche Impulse für die deutsche Modeindustrie zu setzen. Doch die Pläne wurden von der Pandemie durchkreuzt. Und überhaupt, wie sollte das funktionieren? Die Schauen in Berlin und die Messen in Frankfurt? Im Jahr 2022 zog sich Mercedes-Benz als wichtigster Unterstützer zurück.
Daraufhin gab es vom Senat eine großzügige finanzielle Spritze für den German Fashion Council. Doch dort verlagert man neuerdings den Fokus Richtung Ideologie und damit in eine Sackgasse. Nachhaltigkeitsformate, Diskussionsrunden und soziale Gerechtigkeitsinitiativen dominieren die Veranstaltung und wirken mehr wie ein Feigenblatt. Labels wie Gerrit Jacob oder Maximilian Gedra versuchen den avantgardistischen Geist der Neunziger wieder aufleben zu lassen, aber ohne neuen Ansatz oder Rücksicht auf Tragbarkeit, die es nun mal in Deutschland braucht. Stattdessen genderneutrale „urban sadness“ Gestalten bei Dennis Chuené oder linksalternative Satiren auf die Birkin Bag von Hermès beim Label Namilia.
Das in Berlin beheimatete und kurz abgewanderte Label Gmbh exportiert auf den Pariser Laufstegen mit Palästinensertüchern und Wassermelonen-Prints düstere antisemitische Botschaften. Die Art und Weise, wie vor allem einige deutsche Medien eine Kollektion mit diesem politischen Statement gerade bagatellisierten, ist beschämend. Und natürlich stellt sich die Frage: Wer kauft das abgesehen von Neuköllnern und Friedrichshainern? Wenn die nicht ohnehin notgedrungen zu Humana gehen. Auf der anderen Seite kippt es in Richtung Trash. Zum Auftakt dieser Modewoche ließ sich Bürgermeister Kai Wegner in der ersten Reihe bei Harald Glööckler ablichten. Am zweiten Tag veranstaltete die Sockenfirma Happy Socks eine Show.
Wie der Spagat zwischen Kunst und Kommerz gelingen kann, zeigt sich derweil in Dänemark. Mit einem kosmopolitischen Mindset, einer Digitalisierungsstrategie und der Vertriebspower eines deutschen E-Commerce-Riesen im Rücken, hat sich das kleine Kopenhagen innerhalb weniger Saisons erarbeitet, woran Berlin auch in absehbarer Zukunft ambitionslos scheitern wird: einen Ruf als Modemetropole.