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Chronischer Investitionsmangel – eine deutsche Krankheit
Deutschland investiert erheblich weniger in seine öffentliche Infrastruktur als alle anderen EU-Länder. So lagen die deutschen öffentlichen Investitionen mit durchschnittlich 2,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Zeitraum von 2000 bis 2020 deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von rund 3,7 % (vgl. Abbildung 1). Anfang der 1990er Jahre lagen die staatlichen Investitionen noch bei knapp über 3 % des BIP, unter anderem bedingt durch den Aufbau Ost. Ab 1994 sanken die Investitionen kontinuierlich; im Langfristvergleich hält Deutschland damit inzwischen die rote Laterne in Europa. Der leichte Anstieg der öffentlichen Investitionen seit Mitte der 2000er Jahre ging mit einem starken Zuwachs der Baupreise einher. Die geringfügig höheren Ausgaben dürften also kaum höheren realen Werten gegenüberstehen (siehe z. B. Bardt et al., 2017; Grömling und Puls, 2018).
Marode Brücken, Straßen und Schulen – die Versäumnisse der Vergangenheit haben sich inzwischen zu einem weithin anerkannten Investitionsstau aufgetürmt. Bardt et al. (2019) beziffern den zusätzlichen Investitionsbedarf in Deutschland bis ca. 2030 auf rund 450 Mrd. Euro, also 45 Mrd. Euro pro Jahr. Dies entsprach 2021 rund 1,3 % des BIP – und damit ziemlich genau dem langfristigen Rückstand Deutschlands bei den öffentlichen Investitionen zum EU-Durchschnitt. Hinzu kommen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft – die Anpassung an den Klimawandel, Digitalisierung und der Bedarf nach neuen Verteidigungssystemen.
Wir gehen in diesem Beitrag möglichen Ursachen der deutschen Investitionsschwäche im öffentlichen Sektor nach: Gibt es plausible Gründe für die Zurückhaltung? Spielt die Schuldenbremse eine Rolle? Oder handelt es sich um eine deutsche Besonderheit? Wir können zeigen, dass weder ökonomische, fiskalische, demografische noch institutionelle Unterschiede die Investitionslücke Deutschlands im Vergleich zum EU-Durchschnitt erklären können. Unsere Diagnose lautet daher, dass der Mangel an Investitionen zu einer spezifisch deutschen Krankheit geworden ist – einer Art chronischen Krankheit. Dahinter dürften weniger kulturelle Eigenheiten als vielmehr komplexe Planungsverfahren und fehlende personelle Kapazitäten stehen. Für eine Kurskorrektur könnte es angesichts der akuten Fachkräfte- und Materialknappheit jedoch nun fast schon zu spät sein.
Lässt sich die deutsche Investitionsschwäche erklären?
Der langfristige Rückstand Deutschlands in den öffentlichen Investitionen (Bruttoanlageinvestitionen für den Sektor Staat in % des BIP) zum EU-Durchschnitt beträgt rund 1,4 bis 1,5 Prozentpunkte (vgl. Abbildung 1). Viele Ursachen könnten zu dieser Lücke beitragen. Naheliegend sind dabei vor allem die Größe des öffentlichen Sektors (Staatsquote), institutionelle Unterschiede wie z. B. die Schuldenbremse oder ökonomische und fiskalische Rahmenbedingungen (Arbeitslosigkeit, EU-Förderung). Andererseits könnte es sich auch um eine deutsche Eigenheit mit anderen Ursachen jenseits dieser beobachtbaren Faktoren handeln.
Abbildung 1
Öffentliche Investitionen in den EU-Ländern
in % des BIP
Anmerkung: Dargestellt sind die Bruttoanlageinvestitionen () für den Sektor Staat in % des BIP für die Länder der EU 28 (graue Linien). Deutschland ist blau hervorgehoben, der EU-28-Durchschnitt schwarz.
Quelle: Eurostat; eigene Berechnung für EU, Durchschnitt 2000-2019 eigene Darstellung.
Regressionsanalysen erlauben uns zu prüfen, ob die deutsche Investitionsschwäche auch dann noch sichtbar bleibt, wenn wir für Wohlstands-, Demografie- und andere Unterschiede kontrollieren. Dazu nutzen wir im Wesentlichen Paneldaten von Eurostat für die Jahre 2000 bis 2019, ergänzt um Daten weiterer Institutionen. Wir schätzen Pooled-OLS-Regressionsanalysen, in denen wir die Anteile der öffentlichen Investitionen am BIP in den EU-Ländern mit einer Vielzahl von ökonomischen, fiskalischen, demografischen sowie institutionellen Variablen sowie einer Dummy-Variable für Deutschland erklären. Diese Dummy-Variable misst den nicht bereits über die anderen Faktoren abgedeckten Unterschied Deutschlands zum EU-Durchschnitt, also die „chronische“ Investitionslücke Deutschlands, in der sich die Bundesrepublik von den anderen EU-Staaten unterscheidet.
Einschränkend schicken wir voraus, dass die vorliegende Analyse nicht alle denkbaren Einflussfaktoren auf öffentliche Investitionen erschöpfend berücksichtigen kann. Einige oftmals nur schwer messbare Faktoren können nicht betrachtet werden. Dies gilt etwa für institutionelle Einflussfaktoren wie z. B. eine mehr oder weniger komplexe Gesetzgebung, die Dauer von Planungsverfahren oder andere Rahmenbedingungen. Gibt es hier systematische Unterschiede von Deutschland im Vergleich zur übrigen EU, werden diese in unserer Dummy-Variablen für Deutschland aufgefangen. Auch erhebt die Schätzung nicht den Anspruch, einen kausalen Zusammenhang herzustellen. Vielmehr handelt es sich um eine erste explorative Analyse, ob einige häufig vorgebrachte Gründe die offensichtliche Investitionsschwäche Deutschlands erklären können.
Wir starten unsere Analyse mit einer einfachen Regressionsanalyse, in der wir neben unserer Dummy-Variablen für Deutschland nur für EU-weite Schocks über zeitfixe Effekte kontrollieren. Spalte (1) in Tabelle 1 zeigt, dass wir hiermit sehr gut den in Abbildung 1 sichtbaren Rückstand Deutschlands bei öffentlichen Investitionen von knapp 1,5 Prozentpunkten einfangen. Die niedrigere Investitionsquote Deutschlands ist statistisch signifikant und kein einmaliger Ausrutscher.
Tabelle 1
Einflussfaktoren auf öffentliche Investitionen in der EU
Mittelwerte | Abhängige Variable | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
3,71 | Öffentliche Investitionen (in % des BIP) | |||||
(1) | (2) | (3) | (4) | (5) | ||
Deutschland (0 oder 1) | 0,04 | -1,583*** (0,092) | -1,086*** (0,097) | -1,099*** (0,087) | -1,026*** (0,081) | -1,244*** (0,122) |
Kohäsion (0 oder 1) | 0,45 | 0,661*** (0,086) | 0,569*** (0,085) | 0,693*** (0,087) | 0,898*** (0,141) | |
Euro (0 oder 1) | 0,55 | -0,399*** (0,085) | -0,082 (0,082) | 0,056 (0,083) | 0,152 (0,110) | |
Staatsschuldenquote (in % des BIP) | 58,15 | -0,013*** (0,002) | -0,018*** (0,002) | -0,016*** (0,002) | ||
Defizitquote (in % des BIP) | -2,38 | -0,066*** (0,019) | -0,056*** (0,018) | -0,054*** (0,019) | ||
EU-Defizitverfahren (0 oder 1) | 0,31 | -0,345*** (0,107) | -0,327*** (0,099) | -0,095 (0,107) | ||
Nationale Fiskalregel (0 oder 1) | 0,45 | -0,414*** (0,099) | -0,448*** (0,101) | -0,447*** (0,102) | ||
Staatsquote (ohne öffentliche Investitionen, in % des BIP) | 40,85 | 0,028*** (0,006) | 0,024*** (0,009) | |||
Verteidigungsausgaben (in % des BIP) | 1,30 | 0,400*** (0,076) | 0,572*** (0,106) | |||
BIP je Einwohner:in (in 1.000 Euro) | 24,50 | 0,021*** (0,008) | ||||
Wirtschaftswachstum (real, in % des BIP) | 2,52 | 0,017 (0,025) | ||||
Outputlücke (in % des potenziellen BIP) | -0,44 | 0,020 (0,021) | ||||
Kapitalstock pro Einwohner:in (in 1.000 US-$, KKP) | 167,75 | 0,000 (0,002) | ||||
Nichtstaatliche Investitionen (in % des BIP) | 18,49 | 0,016 (0,015) | ||||
Zinssatz (10-jährige Staatsanleihen, in %) | 3,88 | 0,036 (0,039) | ||||
Linker Regierungschef (0 oder 1) | 0,29 | 0,003 (0,084) | ||||
Bevölkerung (logarithmiert) | 15,87 | 0,056 (0,047) | ||||
Bevölkerungsdichte (Einwohner:innen pro km²) | 174,29 | -0,001*** (0,000) | ||||
Bevölkerungsanteil >64 (in % der Gesamtbevölkerung) | 16,77 | -0,034 (0,036) | ||||
Bevölkerungsanteil | 16,19 | -0,145*** (0,034) | ||||
Arbeitslose (in % der Erwerbspersonen) | 8,67 | -0,011 (0,015) | ||||
Jahresdummies | Ja | Ja | Ja | Ja | Ja | |
N | 560 | 560 | 560 | 560 | 455 | |
R² | 0,149 | 0,268 | 0,408 | 0,458 | 0,554 | |
Standardfehler in Klammern, * p |
Quelle: eigene Berechnungen.
Um die Auswirkungen der verschiedenen Einflüsse genauer beurteilen zu können, werden der Regression nun schrittweise Gruppen von relevanten Einflussfaktoren hinzugefügt. Wir beobachten dann, wie sich die Dummy-Variable für Deutschland und die Erklärungsgüte des Modells (R²) verändern. Unser Kernergebnis ist in Spalte (5) abgebildet. Die deutsche Investitionslücke sinkt nur leicht auf rund 1,2 Prozentpunkte, obwohl wir in dieser Spezifikation für eine große Zahl von Einflussfaktoren kontrollieren, die auch das Bestimmtheitsmaß R² von 0,15 auf 0,55 ansteigen lässt. Damit bleibt eine signifikante und in ihrer Größenordnung beachtliche Lücke: 1,2 Prozentpunkte und damit der allergrößte Teil der deutschen Investitionslücke sind durch beobachtbare Faktoren wie Staatsquote, Wirtschaftskraft, Schuldenbremse, Demografie oder anderen Faktoren nicht zu erklären. Die Investitionsschwäche im öffentlichen Sektor ist offenbar eine chronische deutsche Eigenart.
Was erklärt die öffentlichen Investitionen?
Wir werfen nun einen näheren Blick auf die einzelnen Erklärungsfaktoren für öffentliche Investitionen in Europa. Besonders erklärungsstark ist, ob das entsprechende Land zu den aus dem europäischen Kohäsionsfonds besonders geförderten Ländern gehört (Tabelle 1, Spalte (2)). Dies geht mit höheren öffentlichen Investitionen im Umfang von 0,9 Prozentpunkten beim BIP einher. Ein positiver Effekt der Förderung aus dem Kohäsionsfonds ist plausibel: So wurden z. B. laut EU-Kommission (o. J.) in der Förderperiode 2014 bis 2020 in den 15 Kohäsionsländern rund 63,4 Mrd. Euro in die Bereiche Energie und Verkehr investiert. Die besondere deutsche Investitionsschwäche wird durch diese Unterschiede jedoch nicht erklärt; der deutsche Sondereffekt sinkt ein wenig auf 1,1 % des BIP, bleibt aber weiterhin statistisch hochsignifikant.
Auch der Schuldenstand, das Defizit und nationale fiskalische Regeln könnten einen Effekt auf die öffentlichen Investitionen haben. In diesem Zusammenhang werden häufig die EU-Defizitverfahren sowie die Schuldenbremse genannt. Wir finden in der Tat starke Einflüsse dieser Faktoren (Spalte (3), Tabelle 1). Ist der Schuldenstand hoch, wird an den Investitionen gespart. Höhere Haushaltsdefizite gehen dagegen ceteris paribus mit höheren Investitionsausgaben einher. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass investive Konjunkturpakete insbesondere in Krisenzeiten zum Einsatz kommen. Schuldenregeln sind in unserem Datensatz ebenfalls deutlich mit dem Investitionsniveau korreliert. Existiert eine gesetz- oder verfassungsmäßig festgeschriebene Fiskalregel, sind die öffentlichen Investitionen um ca. 0,45 Prozentpunkte des BIP geringer. Auch Heinemann et al. (2017) finden in einer Meta-Studie einen restriktiven Effekt nationaler Fiskalregeln auf die öffentliche Ausgaben. Sie weisen jedoch auf das Endogenitätsproblem dieser Variable hin. Insbesondere können ebendiese Fiskalregeln auch inhärente fiskalische Präferenzen der Länder reflektieren (Poterba, 1996). Dies gilt auch für die vorliegende Regression. Trotz der Kontrolle für fiskalische Variablen bleibt jedoch in jedem Fall der von uns diagnostizierte deutsche Sondereffekt bestehen.
Höhere staatliche Ausgaben (ohne Investitionen) im Allgemeinen und Militärausgaben im Speziellen gehen mit höheren öffentlichen Investitionen einher. Länder mit einer höheren Staatsquote weisen – wenig überraschend – auch höhere BIP-Anteile für öffentliche Investitionen auf. Auch höhere Militärausgaben gehen mit höheren Investitionen einher. Beide Faktoren ändern jedoch wiederum den deutschen Sondereffekt kaum (Tabelle 1, Spalte (4)).
Schließlich berücksichtigen wir eine große Zahl von weiteren Faktoren, die das staatliche Investitionsverhalten beeinflussen könnten (Spalte (5) in Tabelle 1). Einen signifikant negativen Zusammenhang mit öffentlichen Investitionen finden wir für die Bevölkerungsdichte und den Anteil junger Menschen unter 15 Jahren, einen positiven Einfluss hat das Wohlstandsniveau (BIP je Einwohner:in). Bei der jungen Bevölkerung finden wir ein negatives Vorzeichen. Eine Erklärung könnte sein, dass diese Gruppe nur einen geringen politischen Einfluss hat, um ihre Interessen – in diesem Fall für Zukunftsinvestitionen – zu vertreten. Andere plausible Faktoren wie die Parteizugehörigkeit des Regierungschefs, das Zinsniveau, die Landesgröße, die Arbeitslosenquote oder der Anteil nicht staatlicher Investitionen am BIP sind dagegen nicht statistisch signifikant mit öffentlichen Investitionen korreliert.
Mit rund 1,2 Prozentpunkten des BIP bleibt trotz der zahlreichen Kontrollvariablen eine statistisch signifikante deutschlandspezifische Lücke bestehen – eine Art chronische Investitionsschwäche, die sich trotz der vielfältigen Kontrollvariablen nicht wegerklären lässt. Dahinter verbergen sich all die Ländereigenschaften, die nicht durch unsere ökonomischen, fiskalischen, demografischen und institutionellen Unterschiede aufgefangen werden – unter anderem Bürokratie, Planungsverfahren oder andere Hemmnisse. So wird in der öffentlichen Debatte neben der Frage einer Unterfinanzierung ebenso intensiv diskutiert, ob Personalmangel, bürokratiebedingt gedrosselter Mittelabruf sowie fehlende Planungs- und Umsetzungskapazitäten eine Rolle spielen. Hinzu kommen institutionell-administrative Hindernisse, wie komplexe Planungsanforderungen sowie die Beteiligungsverfahren, die die Umsetzung von Infrastrukturvorhaben erschweren können (z. B. Feld et al., 2019; Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 2020).
Diese Faktoren sind ausgesprochen plausible Erklärungen für die deutsche Investitionsschwäche. So wurden in den vergangenen Jahren in Deutschland haushalterisch mögliche Investitionen in Milliardenhöhe nicht getätigt, weil vom Bund bereitgestellte Mittel von Kommunen und Länder nur spärlich abgerufen wurden. Hauptursache auf kommunaler Ebene sind beispielsweise häufig fehlende personelle und planerische Kapazitäten (Brand und Steinbrecher, 2018). Kulturelle oder Präferenzunterschiede dürften dagegen weniger relevant sein. Vergleichbare EU-Länder wie Österreich oder die Niederlande investieren im Vergleich zu Deutschland deutlich mehr in ihre Infrastruktur. Die Kontinuität des niedrigen Niveaus von öffentlichen Investitionen in Deutschland deutet zudem auf eine gewisse Pfadabhängigkeit hin; das niedrige Investitionsniveau wurde von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr einfach fortgeschrieben.
Chronische Schwäche oder behandelbare Krankheit?
Deutschland investiert seit mindestens zwei Jahrzehnten weit über 1 Prozentpunkt des BIP weniger in seine öffentliche Infrastruktur als der EU-Durchschnitt. Diese Lücke lässt sich auch nicht durch Wohlstandsunterschiede, Schuldenbremse, Demografie oder andere Faktoren erklären. Um die Investitionslücke zu schließen, hätte im Jahr 2021 rund 40 Mrd. bis 50 Mrd. Euro mehr durch die öffentliche Hand investiert werden müssen. Dies entspricht etwa früheren Schätzungen des jährlichen Investitionsbedarfs von 45 Mrd. Euro pro Jahr (Bardt et al., 2019). Dabei sind neue Zukunftsbedarfe sogar nur teilweise berücksichtigt, z. B. in den Bereichen Klimaneutralität bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit, demografischer Wandel, Digitalisierung und Verteidigung.
Die jahrzehntelange Investitionszurückhaltung ist inzwischen zu einem veritablen Investitionsstau geworden. Ein gutes Beispiel sind hierfür die Brücken an Bundesstraßen. Der Großteil der Brücken, insbesondere in Westdeutschland, ist mittlerweile zwischen 40 und 60 Jahre alt und für die heutigen Verkehrsverhältnisse (Verkehrsdichte, Schwerverkehr) kaum noch tauglich. Es besteht ein erheblicher Sanierungs- und Neubaubedarf. Das gilt auch für die meist sehr alten Eisenbahnbrücken. Schleusen und Wehre an den Bundeswasserstraßen sind in der Regel noch älter (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2021). Hinzu kommt die alternde kommunale Verkehrsinfrastruktur (Bardt et al., 2017).
Fraglich ist, ob und wie schnell sich die weithin akzeptierte Notwendigkeit nach mehr öffentlichen Investitionen überhaupt (noch) realisieren lässt. Es waren auch bisher schon weniger fehlende Haushaltsmittel, sondern insbesondere institutionelle Faktoren, die die Investitionen bremsen. Hierzu zählen etwa die besonders langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland. Weitere wichtige Gründe für fehlende Investitionen sind die personelle Ausdünnung von Bau- und Planungsbehörden sowie die Fachkräfteknappheit in Bau und Handwerk. Verbesserungen bei Planungs- und Umsetzungskapazitäten sowie eine Attraktivitätssteigerung des Bauingenieurberufs und des Handwerks erscheinen dringend angezeigt. Die zugespitzte Materialknappheit im Baugewerbe und Handwerk schränken die Investitionsmöglichkeiten aktuell zusätzlich ein. Stark steigende Immobilien- und Baustoffpreise sowie der Anstieg des allgemeinen Preisniveaus legen gegenwärtig eher eine Zurückhaltung bei größeren staatlichen Programmen nahe. Für eine Kurskorrektur könnte es angesichts der akuten Fachkräfte- und Materialknappheit deshalb möglicherweise schon zu spät sein.
Literatur
Bardt, H., M. Grömling, T. Hentze und T. Puls (2017), Investieren Staat und Unternehmen in Deutschland zu wenig? Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf, IW-Analysen,118.
Bardt, H., S. Dullien, M. Hüther und K. Rietzler (2019), Für eine solide Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen!, IMK Report, 152.
Brand, S. und J. Steinbrecher (2018), Gut Ding will Weile haben! Warum rufen Kommunen Fördermittel nur zögerlich ab?, KfW Research Volkswirtschaft Kompakt, 168, KfW Bankengruppe.
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2021), Verkehrsinvestitionsbericht für das Berichtsjahr 2019, https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/G/verkehrsinvestitionsbericht-2019.pdf?__blob=publicationFile (8. März 2022).
EU-Kommission (o.J.), Kohäsionsfonds 2014-2020, https://ec.europa.eu/regional_policy/de/funding/cohesion-fund/2014-2020 (8. März 2022).
Feld, L., W. H. Reuter und M. Yeter (2019), Öffentliche Investitionen: Die Schuldenbremse ist nicht das Problem, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 20(4), 292-303.
Fratzscher, M. (2021), So können Zukunftsinvestitionen gelingen, Gastbeitrag bei Spiegel Online, 21. Oktober, https://www.spiegel.de/wirtschaft/schuldenpolitik-nach-der-bundestagswahl-wie-zukunftsinvestitionen-gelingen-koennen-a-c2de02e7-f666-4d5d-94ff-9ca07ae31d2e (8. März 2022).
Grömling, M. und T. Puls (2018), Infrastrukturmängel in Deutschland – Belastungsgrade nach Branchen und Regionen auf Basis einer Unternehmensbefragung, IW-Trends, 2/2018.
Heinemann, F., M.-D. Moessinger und M. Yeter (2017), Do fiscal rules constrain fiscal policy? A meta-regression-analysis, European Journal of Political Economy, 51(2018), 69-92.
Hüther, M. (2019), 10 Jahre Schuldenbremse – ein Konzept mit Zukunft?, IW-Policy Paper, 3/19.
Poterba, J. (1996), Budget Institutions and Fiscal Policy in the U.S. States, NBER Working Papers, 5449.
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2020), Öffentliche Infrastruktur in Deutschland: Probleme und Reformbedarf – Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/gutachten-oeffentliche-infrastruktur-in-deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=12 (8. März 2022).