Bussiness
Javier Milei : Seine Bilanz nach einem Jahr Politik mit Kettensäge
In Argentinien regiert der marktliberale Präsident Javier Milei seit einem Jahr. Seine harten Reformen spalten das Land. Millionen hoffen auf Milei. Millionen verachten ihn.
Nicht nur in Argentinien. Donald Trump hofiert ihn. FDP-Chef Christian Lindner rät: „Wir sollten in Deutschland ein kleines bisschen mehr Milei wagen.“ Das empört andere.
Aber wie fällt Mileis Bilanz wirklich aus? Was hat er umgesetzt? Was sind die Folgen? Wie geht es weiter? Die Wirklichkeit ist nicht so eindeutig, wie Fans und Gegner meinen.
Argentinien erlebt jetzt ein Jahr Politik mit der Kettensäge: Am 10. Dezember 2023 trat der marktradikale Präsident Javier Milei sein Amt an. Der exzentrische Politiker hatte die Wahl auch mit der Ankündigung gewonnen, den Staat radikal zurückzuschneiden. Milei hat Ernst gemacht. Die Argentinier haben genau die harten Reformen bekommen, die eine Mehrheit gewählt hat. In seinem Land ist Milei beliebter – und gleichzeitig verhasster denn je. Millionen Menschen gehen gegen seine Politik auf die Straße. Noch mehr Millionen würden derzeit wohl wiederwählen.
Auch über Argentinien hinaus ist Milei zur Symbolfigur geworden im Ringen um die Rolle des Staates in der Wirtschaft. In den USA hofiert ihn Donald Trump. Elon Musk nennt in sein Vorbild. In Deutschland wagte FDP-Chef Christian Lindner den tastenden Rat: „Ich finde, wir sollten in Deutschland ein kleines bisschen mehr Milei wagen“. Für viele bereits ein Tabubruch.
Dabei passt Milei schlecht in Schablonen. Mit seinem Eintreten für Freihandel und einen sparsamen Staat stehe Milei im Gegensatz zum Trumps Zoll-Besessenheit und den Schulden seiner ersten Amtszeit, stellt der „Economist“ fest. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung wiederum zieht distanziert Milei-Bilanz. Vielleicht auch, weil Milei solche Sätze sagt: „Meine Verachtung für den Staat ist unendlich.“
Nun führt Javier Milei selbst diesen Staat seit einem Jahr. Wie fällt seine Zwischenbilanz wirklich aus? Was hat Milei gemacht? Gibt es Erfolge? Woran entzündet sich Kritik? Welche Aufgaben liegen vor Argentinien und welche Risiken gibt es dabei? Hier sind einige Antworten:
Argentinien war schon vor Milei ein Sonderfall
Argentinien ist die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas nach Brasilien und Mexiko. Das Land war einmal reich, auch nach dem Einkommen der Menschen. Doch Argentinien sei das einzige Land der modernen Wirtschaftsgeschichte, das aus dem Kreis der reichen Länder abgestiegen sei, schrieb der Economist.
Gründe liegen in jahrzehntelangen wirtschaftlichen Experimenten, dem Hang zu Extremen, politischer Unsicherheit, Umstürzen und einem aufgeblähten Begünstigungsstaat. Zu den wenigen Konstanten in Argentiniens Politik gehörte es, Probleme stets mit viele Geld zu verdecken. Wenn es keines mehr gab, wurde neues gedruckt. Argentiniens Niedergang wurde begleitet von Hyperinflation, Währungsverfall und Staatsbankrotten.
Auch darum konnte Mileis „Kettensäge“-Wahlkampf verfangen. Nur darum galt sein Slogan „Es gibt kein Geld“ vielen als Versprechen einer besseren Zukunft.
Das hat Javier Milei gemacht
Milei hat eine Radikalkur in drei Phasen angekündigt. Schock, Stabilisierung, Wachstum. Bisher hat er davon den Schock geliefert. Milei hat die Staatsausgaben im Eiltempo um 30 Prozent gesenkt. Er hat Vorhaben für Infrastruktur gestoppt, auch viele Programme für Bildung. Im Staatsapparat hat er 30.000 Stellen gestrichen. Er hat Pensionen nur unterhalb der Inflationsrate erhöht und soziale Subventionen gekappt, etwa auf Strom, Wasser oder Benzin. Den Peso wertete er im Dezember kräftig und seither stetig ab. Jetzt, ein Jahr später, soll Phase zwei beginnen, die Stabilisierung. Auf erste Erfolge kann Milei aufbauen.
Ein gutes Jahr: 3 wichtige Erfolge für Milei
Inflation: Argentinien war über Jahre das Land mit der höchsten Inflation weltweit. Die Preissteigerungen waren für die meisten Menschen das überragend wichtige Thema. Bei Mileis Antritt lag die Teuerung über 250 Prozent im Jahr. Jedem Monat (!) stiegen die Preise um 20 Prozent. Jetzt ist die Teuerung unter drei Prozent gefallen, im Monat wohlgemerkt. Das ist immer noch mehr als in Deutschland im ganzen Jahr. Aber die Preise sind wieder berechenbar geworden. Vertrauen kehrt zurück.
Staatshaushalt: Mileis radikale Maßnahmen haben den Haushalt schnell ins Plus gedreht. Seit Januar erzielte Milei stets einen Haushaltsüberschuss. Auch das steigert Vertrauen – zumal bei Investoren und den für das hoch verschuldete Land so wichtigen Kreditgebern. Der Risikoaufschlag, den Argentinien zahlen muss, wenn es sich Geld leiht, ist deutlich gesunken.
Außenbilanz: Mileis wirtschaftliche Reformen bringen erste unternehmerische Investoren zurück. Im Außenhandel erwirtschaftet Argentinien wieder einen Überschuss. Es exportiert auch wieder mehr Energie als es importiert.
Doch der Preis ist hoch und der Schock sitzt noch tief.
Ein schlechtes Jahr Milei: 3 Gründe für Wut
Armut: In Argentinien lebten schon vor Mileis Antritt mit 45 Prozent viele Menschen in Armut. Im ersten Jahr unter Milei ist die Quote auf 53 Prozent gestiegen. Es gibt mehr verarmte Rentner, Familien und mehr Kinder in Armut. Betroffen sind auch Menschen, die Arbeit habe. Die ohnehin nicht hohen Löhne bleiben meist hinter der Inflation zurück.
Kürzungen, Kürzungen: Milei hat Ausgaben breit gekürzt. Besonders heftige Proteste lösten seine Einschnitte bei Schulen, Hochschulen und im sozialen Bereich aus. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Milei tief in das in Argentinien verbreitete System regierungsnaher Organisationen einschnitt. Damit entfielen auch viele ihrer Angebote im sozialen Bereich.
Arbeitslosigkeit: Die offizielle Arbeitslosigkeit in Argentinien ist auf acht Prozent gestiegen. „Inzwischen hat die Arbeitslosigkeit die Inflation als größte Sorge der Argentinier in Umfragen verdrängt“, schreibt die Naumann-Stiftung. Viele Jobs fallen auch weg, weil Argentinien in der Rezession steckt. Der Blick auf die Konjunktur zeigt aber auch, dass Urteile über Mileis Politik oft (noch) nicht einfach sind.
Zwei Beispiele, warum das Urteil nicht einfach ist:
Wirtschaftswachstum: 2023 war Argentiniens Wirtschaftsleistung um 1,6 Prozent geschrumpft. Unter Milei schmierte die Konjunktur dann noch weiter ab. Für dieses Jahr rechnet die OECD mit einem Wirtschaftseinbruch um vier Prozent. „Damit zahlt die Bevölkerung einen hohen Preis in Form einer Wirtschaftskrise für die – grundsätzlich herbeigesehnte – niedrigere Inflation“, so die Naumann-Stiftung.
Aber: Die Konjunktur dreht. Im dritten Quartal wuchs das BIP wieder. Für 2025 traut die OECD Argentinien mit 3,9 Prozent größte Wachstum aller G-20-Ländern zu. JP Morgan rechnet sogar mit 4,4 Prozent. Argentinien würde damit zwar gerade die Verluste dieses Jahres aufholen. Doch Milei darf auf eine Erholung in V-Form offen: kurz und steil runter, schnell und ebenso steil wieder rauf.
Mieten: Argentiniens Wohnungsmarkt war unter den Linksperonisten hoch reglementiert. Entsprechend knapp und teuer waren Wohnungen. Milei liberalisierte den Markt per Notstandsdekret. Er schaffte die Mindestlaufzeit von Mietverträgen ab, erlaubte Verträge in US-Dollar und starke Mieterhöhungen. „Die Immobilienportale verzeichneten umgehend mehr als eine Verdopplung der angebotenen Wohnungen“, bilanziert die Naumann-Stiftung.
Aber: Bei den Preisen ist das Bild nicht so eindeutig. Verlierer sind viele Altmieter. Sie mussten bei einer Verlängerung auslaufender Verträge „oft eine Verdreifachung der Miete hinnehmen“. Immerhin gingen die Neumieten inflationsbereinigt leicht zurück. Das Niveau sei aber hoch, so die Naumann-Stiftung. Zusätzlich steigen Nebenkosten wegen des Wegfalls der Subventionen für Energie. „In der Folge wohnen vier von zehn jungen Argentiniern zwischen 25 und 35 Jahren noch bei ihren Eltern oder Großeltern.“
Gelingen Milei jetzt die Phasen zwei und drei, also Stabilisierung und Wachstum?
Was vor Javier Milei in Argentinien liegt
Argentiniens Wirtschaft ist auch nach einem Jahr Milei hoch reglementiert. Handel und Kapitalverkehr mit dem Ausland sind noch immer stark beschränkt. Der Wechselkurs des Peso wird staatlich bestimmt. Der Peso ist immer noch deutlich überbewertet.
Milei hat angekündigt, die Fesseln nach und nach zu lösen. Während Trump immer neue Zölle ankündigt, und Ökonomen vor steigenden Preisen in den USA warnen, hat Milei Importe von Nahrungsmitteln erleichtert, um die wichtigen Preise zu stabilisieren. Doch die Öffnung der Wirtschaft bleibt ein großes Risiko. Sollte der Peso dadurch stark unter Druck geraten, könnte das die Inflation wieder anheizen. Sollten Inflation, Arbeitslosigkeit und Armut gleichzeitig steigen, kann Mileis Popularität schnell leiden.
Aktuell sind Mileis Zustimmungswerte bei den Wählern höher als bei seinen Vorgängern ein Jahr nach dem Amtsantritt. Doch auch das politische Risiko bleibt hoch. Die Opposition der Peronisten muss nicht lange zerstritten bleiben. Im Dezember 2025 stehen in Argentinien wichtige Zwischenwahlen an. Auf das erste Jahr des Schocks hatte Milei die Argentinier gut vorbereitet. Nun verspricht er aber, für Argentinien würden jetzt die besten 100 Jahre anbrechen. Dieses Versprechen zu halten, wird ungleich schwerer. Allein mit der Kettensäge wird Milei das nicht mehr gelingen.