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Job-Angst in Deutschland? Wer um seinen Arbeitsplatz fürchten muss

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Job-Angst in Deutschland? Wer um seinen Arbeitsplatz fürchten muss

  • Im Video: VW vor Werksschließungen – Analyse zeigt, wie ernst die Lage im Konzern ist

Zuletzt war es Volkswagen , das mit großen Ankündigungen für Unruhe sorgte. Werksschließungen in Deutschland sind beim aktuellen Sparkurs des Unternehmens kein Tabu mehr, auch die bis 2029 geltende Beschäftigungsgarantie, die betriebsbedingte Kündigungen ausschließt, soll beendet werden. Die Pläne von Volkswagen sind die Spitze der krisengeschüttelten deutschen Autoindustrie. Auch der Zulieferer ZF Friedrichshafen hatte vor wenigen Monaten angekündigt, 14.000 Stellen zu streichen. Bei anderen Zulieferern wie Bosch und Continental laufen bereits Sparprogramme, die auch Stellenstreichungen beinhalten. Auch Volkswagen selbst steckt bereits in einem solchen Programm.

Die Automobilbranche ist einer der Krisenherde auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Im August sank die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr um 27.000, wie die Bundesagentur für Arbeit in ihrem aktuellen Monatsbericht mitteilte. Stärker betroffen waren nur der Handel, das Baugewerbe, die Herstellung von Vorleistungsgütern (z.B. Chemieindustrie) und das Verarbeitende Gewerbe, also die Industrie allgemein. Die meisten Arbeitsplätze gingen in der Arbeitnehmerüberlassung verloren. Auch in der Automobilindustrie dürften viele Leiharbeiter ihren Arbeitsplatz verloren haben.

VW hat am Standort Deutschland Probleme

Für VW-Konzernchef Oliver Blume liegt das Problem am Standort Deutschland, bei den Gründen verliert er sich in Allgemeinplätzen. Die Wettbewerbsfähigkeit sinke, die europäische Autoindustrie befinde sich in einer „anspruchsvollen und ernsten Lage“, der „Gegenwind“ sei deutlich stärker geworden. Das klingt, als würde VW Milliardenverluste einfahren und vor der Pleite stehen. Dabei hat der Konzern im vergangenen Jahr mit 22,6 Milliarden Euro den höchsten Gewinn nach Steuern in seiner Geschichte eingefahren. Die Kernmarke VW, um die es Blume vor allem geht, steuerte dazu 3,5 Milliarden Euro bei, 34 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Doch das reicht dem Konzernchef nicht.

Dabei hat der Standort Deutschland durchaus Probleme: In verschiedenen Umfragen von Verbänden wie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) oder dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gaben im vergangenen Jahr rund die Hälfte der befragten Unternehmen an, bereits Kapazitäten ins Ausland zu verlagern oder sich dies vorstellen zu können.

Zudem flossen im vergangenen Jahr mit 94 Milliarden Euro mehr Investitionen von deutschen Unternehmen ins Ausland als umgekehrt. In den vergangenen drei Jahren waren es zusammen sogar 319 Milliarden Euro. Während die Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland mit wenigen Ausnahmen traditionell höher sind als die Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland, schwächeln letztere derzeit massiv. Laut Bundesbank flossen im vergangenen Jahr nur noch 15 Milliarden Euro. Ein Jahr zuvor waren es noch 60 Milliarden Euro. 

Daran krankt der Standort Deutschland

Nach den Gründen gefragt, nennen die Ökonomen an erster Stelle die zu komplizierte Bürokratie, die unzureichende Digitalisierung, die hohen Energie- und Rohstoffpreise sowie den Fachkräftemangel. Letzterer ist auch der Hauptgrund dafür, dass sich die Krisen in Schlüsselbranchen wie Automobil, Industrie, Handel und Chemie noch nicht auf die allgemeine Arbeitslosigkeit ausgewirkt haben.

Im August waren laut Bundesagentur für Arbeit 2,872 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, 176.000 mehr als im Vorjahr. Nach internationalen Maßstäben entspricht dies einer Arbeitslosenquote von nur 3,4 Prozent. In der EU weisen nur Slowenien, Malta, Polen und die Tschechische Republik niedrigere Werte auf. Die Zahl der Unterbeschäftigten – dazu zählen neben den Arbeitslosen auch Kurzarbeiter und Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen – stieg nur um 132.000 auf 3,617 Millionen. Die Zahl der Personen, die Arbeitslosengeld oder Bürgergeld beziehen, stieg um 179.000 auf 4,875 Millionen. Angesichts der Tatsache, dass viele der zusätzlichen Arbeitslosen mit anderen Bürgergeldempfängern, z.B. Kindern, zusammenleben, ist auch dies noch nicht dramatisch.

Gleichzeitig bleibt die Nachfrage nach Arbeitskräften hoch. 699.000 offene Stellen meldete die Bundesagentur für Arbeit für August. Durchschnittlich 157 Tage kostet es Unternehmen mittlerweile, eine offene Stelle zu besetzen. Die Hälfte der gemeldeten Arbeitsplätze ist schon seit mindestens drei Monaten unbesetzt. Während es also in der Autobranche, im Handel, Bau, Chemie und Industrie kriselt, würden andere Branchen gerne expandieren und finden keine Mitarbeiter.

1,6 Millionen offene Stellen

Das sind aber nur die Stellen, die offiziell der Arbeitsagentur gemeldet wurden. Aus Umfragen errechnete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfeldforschung (IAB) im ersten Quartal sogar einen Bedarf von rund 1,567 Millionen Stellen. Rund die Hälfte davon stammt aus dem Dienstleistungsbereich. 419.000 stammen von den „unternehmensnahen Dienstleistungen“. Das sind Services wie Logistik, IT, das Finanzwesen, PR, Marketing und vieles andere, was Unternehmen gerne auslagern. Weitere 394.000 sind „sonstige Dienstleistungen“, wozu in der IAB-Definition etwa die Gastronomie, das Gesundheits- und Pflegewesen sowie jede Form von Kultur und Unterhaltung zählen. Tatsächlich zählt hier auch die Bundesagentur für Arbeit die höchsten Zuwächse: Rund 175.000 Stellen entstanden seit August 2023 in den „sonstigen Dienstleistungen“, wobei Pflege und Gesundheit an der Spitze stehen.

Merkwürdigerweise sind auch in den eigentlich krisengeschüttelten Branchen Handel (205.000), Industrie (158.000) und Bau (144.000) die Zahlen der offenen Stellen hoch. Für die Bundesagentur für Arbeit ist vor allem dies ein Indiz dafür, dass derzeit eine Diskrepanz zwischen den von den Unternehmen gesuchten und den von den Arbeitslosen angebotenen Qualifikationen besteht. „Leiharbeitende, befristet Beschäftigte und Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung“ müssten deswegen sich auch am ehesten Sorgen um ihren Job machen, sagt Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

Konjunkturabhängige Jobs in Gefahr

Wenn die Konjunktur schwächelt, sind es eben diese Menschen, deren Jobs als erstes abgebaut werden. Daraus ergibt sich auch die Reihenfolge der Branchen: Bau, Handel, Autos und Industrie sind wesentlich stärker von der Konjunktur abhängig als Dienstleister. Zudem stecken im Dienstleistungswesen viele Berufe mit starken Zukunftschancen, etwa in der IT oder bei derzeit händeringend gesuchten Ärzten und Pflegern, die aus aufgrund des demographischen Wandels immer mehr braucht. Auch in vielen IT-Berufen, besonders den hochqualifizierten, herrscht nach einer Auswertung der Job-Plattform Indeed ein großer Mangel.

Einen rasanten Anstieg der Arbeitslosenzahlen erwartet die Bundesagentur (BA) für die nahe Zukunft nicht. Das Barometer, mit dem die BA verschiedene Frühindikatoren zusammenfasst, stieg um August leicht auf 100,9 Punkte. 100 ist dabei der Schwellwert zwischen voraussichtlich steigenden oder sinkenden Arbeitslosenzahlen. Aktuell herrscht also sogar leichter Optimismus. Die BA sieht keine „kurzfristigen, großen Risiken“ für den Arbeitsmarkt. Das Beschäftigungsbarometer des Ifo-Institutes hingegen zeigt eher leichten Pessimismus. Es wird anhand von Umfragen auf einer ähnlichen 100er-Skala ermittelt und sank im August auf 94,8 Punkte. Das deutet daraufhin, dass eine Mehrheit der Unternehmen eher mit Personalabbau liebäugelt denn mit Aufbau.

Dann sind betriebsbedingte Kündigungen erlaubt

Aber: Personalabbau muss nicht immer mehr Arbeitslose bedeuten, genau wie die Zahlen zum Stellenabbau in Unternehmen meist über die tatsächliche Lage hinwegtäuschen. Wenn etwa ZF Friedrichshafen angibt, 14.000 Arbeitsplätze streichen zu wollen, dann fallen diese nicht augenblicklich weg und die bisherigen Mitarbeiter werden auch nicht entlassen. Fast immer gehen solche Sparprogramme über mehrere Jahre und beruhen darauf, Stellen, die durch Kündigungen und angehende Rentner freiwerden, nicht mehr neu zu besetzen. Oft kümmern sich die sparenden Unternehmen auch darum, Mitarbeiter aktiv in andere Stellen im eigenen oder bei anderen Unternehmen zu vermitteln, so dass im Saldo kein Arbeitsloser hinzukommt.

So kann auch Volkswagen nicht einfach Mitarbeitern beliebig kündigen, um die eigene Blanz aufzupolieren. Betriebsbedingte Kündigungen sind in Deutschland nur erlaubt, wenn ein Unternehmen nachweisen kann, dass ein Arbeitsplatz dauerhaft wegfällt. Bei Werksschließungen wäre das tatsächlich erlaubt, diese wollen Betriebsrat, Gewerkschaften und das Land Niedersachsen aber verhindern.

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